Maria mit dem Kind (Version 4) und die Gemäldegalerie – Zeichnung von Susanne Haun

Erst heute ist mir klar geworden, was für ein Privileg es ist, nur eine halbe Stunde Autofahrt von Boticelli, Cranach, Dürer, Holbein, Lippi, Baltung und, und, und entfernt zu wohnen.

Gestern war ich in der Gemäldegalerie im Kulturforum. In jedem Raum hängen mehrere Marienbildnisse. Ich habe an einer Führung, geleitet von einem Pfarrer und einer Kunsthistorikerin, teilgenommen und fand es erstaunlich, wie man Bilder sehen kann, wenn man sie nur von der theologischen Seite betrachtet.

Der Winter naht und um 17 Uhr war es vor dem Kulturforum schon dunkel - Foto von Susanne Haun
Der Winter naht und um 17 Uhr war es vor dem Kulturforum schon dunkel - Foto von Susanne Haun

Wir besprachen ein Bild von Filippino Lippi, das im Netz zum Teil als „Die Geburt der Medici“ bezeichnet wird. Es zeigt Maria mit dem Kind, Johannes den Täufer, den heiligen Bertrand und Gott mit heiligen Geist. Lippi, der Künstler des Bildes, war zuerst Mönch, verliebte sich unsterblich in eine Nonne, heiratete diese und wurde von Cosimo Medici beim Papst „freigekauft“, als ihm auch noch eine Tochter geboren wurde. Ich denke, das Lippi die gesamte Familie Medici auf dem Bild darstellte, denn es wurde nach dem Machtverlust der Medici sofort aus dem Palast verbannt.

Der Pfarrer hat das Bild als pure Theologie gedeutet, ich aber sehe die weltlicher Geschichte der Medici. Der Betrachter und auch ich schafften also unsere eigene Wirklichkeit beim Betrachten des Kunstwerkes. Ich finde es völlig faszinieren.

Maria mit Kind (Version 4 - Heilig) - Zeichnung von Susanne Haun - Tusche auf Bütten - 40 x 30 cm
Maria mit Kind (Version 4 - Heilig) - Zeichnung von Susanne Haun - Tusche auf Bütten - 40 x 30 cm

Marias Haare sind immer offen als Zeichen ihrer Jungfräulichkeit und Maria lächelt kaum auf den Bildern. Erst in unserer heutigen Zeit beginnen die Marien auf den Bildern zu lächeln, lt. Auskunft der Historikerin vorwiegend auf den Abbildungen in Lateinamerika.

So habe ich heute meine vierte Version der Maria mit Kind gezeichnet. Die erste Version einer Maria mit offenen Haaren. Wer ein kleines Kind hat, weiss, warum ich die Haare immer als Zopf oder Dutt dargestellt habe. Es tut höllisch weh, wenn die Kleinen mit ihren kräftigen Patschhändchen an den Haaren ziehen. Und glaubt mir, sie ziehen mit wahrer Freude an den Haaren!

Meine Marien lächeln auch nicht, sie denken in Worten.

6 comments

  1. „…Der Pfarrer hat das Bild als pure Theologie gedeutet, ich aber sehe die weltlicher Geschichte der Medici…“
    das ist es, was auch kunst für mich ist ausmacht, ich brauche einen spielraum für interpretationen. zwar kann es angebracht sein, durch den künstler eine hilfestellung zu bekommen, aber nichts ist langweiliger als zu einem bild eine komplette erklärung zu erhalten. dieses würde für mich nur noch die reine umsetzung übrig lassen, das handwerkliche. bei führungen durch ausstellungen lehne ich auch erklärungen ab „der künstler wollte dadurch ausdrücken…,weil…“, wenn es keine eindeutige aussage/überlieferung des künstlers dazu gibt. höchtens ein „möglicherweise…“

  2. Führungen meide ich – aber manchmal bin ich dankbar, weil ich etwas sehe, wofür ich vorher blind war. Ich habs einfach nicht gesehen!
    Klasse find ich, dass uns Susanne hier Einblick in ihre Arbeitsweise schenkt. Wenn Dürer bei seinen Italienreise gebloggt hätte?! Hab auf dem Flohmarkt gerade ein Buch mit Zeichnungen von ihm gefunden – da wird was gerätselt… Ich sehe den Lockenmann vorm „Kulturforum“ mit seinem Netbook….es wird Winter, es ist dunkel in Rom…

  3. Hallo und Guten Morgen Liebe Susanne,

    ein Bild hat genug Sprache und Inhalt. Ich möchte manchmal gar kein Titel mehr geben und auch gar keinen Beschreibung in irgend eine Richtung. Kunst braucht einfach das Geheimnis . Alles andere macht der Betrachter dann, fiinde ich.

    Im Tagebuch schreiben iwir unsere Gedanken zur Arbeit auf. Später mal wird es Hilfreich sein.

    Ich mag dieses Bild hier sehr und auch Dein Thema !

    Lieber Gruss Bianca

  4. es gefaellt mir, liebe Susanne, wie du den betrachter am entstehen deiner werke teilhaben laesst.
    @Frank: sympathisch, was du ueber deinen anspruch an werkdeutungen formulierst.
    @Bianca: auch deine meinung ueber den zusammenhang zwischen betrachter und bildtitel-werk teile ich des oefteren. mitunter ist ein bildtitel allerdings bereits das halbe werk. es kann eine menge poesie darin stecken, er kann in harmonie oder im kontrast zum bildinhalt stehen und entfacht dann ebenfalls eine menge zuendstoff fuer den rezipienten.

  5. Liebe Susanne, Deine Marien mit Kind finde ich mit und ohne Geschichte sehr berührend.
    Du stellst für mich die Verbindung von Körper Geist und Seele; Mythen, Wirklichkeit und etwas Übergeordnetem (besser kann ich es nicht ausdrücken) dar.
    Gruss Helen

  6. Ich danke euch Frank, Micha, Bianca, Iris und Helen für eure Kommentare. Ich habe mich sehr gefreut, dass der Beitrag euch so zum Nachdenken angeregt hat.
    Ich mag es auch, wenn mir ein Werk Spielraum für meine Gedanken läßt.
    Ja, es ist klasse, wieviele Deutungen ein Kunstwerk zutage bringt.
    Ich wünsche euch einen schönen 1. Advent
    Susanne

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