Urteilen, gewollt oder ungewollt und blaue Beeren – Zeichnung von Susanne Haun

Ich habe vor kurzem von Lukas Hartmann „Bis ans Ende der Meere“ gelesen. Das Buch handelt vom Maler John Webber, der mit Cook umd die Welt reiste.

Da es zur Zeit von James Cooks reisen noch keine Fotoapparate gab, nahm er verschiedene Künstler mit an Bord seiner Weltumsegelungen. Auf der dritten Reise hatte John Webber das Glück, mit ihm zu reisen. Lukas Hartmann beschreibt sehr anschaulich und einfühlsam die Reise von 1776 – 1780.

Blaue Vogelbeere 30 x 40 cm Tusche auf Bütten (c) Zeichnung von Susanne Haun
Blaue Vogelbeere 30 x 40 cm Tusche auf Bütten (c) Zeichnung von Susanne Haun

Ich kann mir nicht vorstellen, vier Jahre auf Reisen zu sein und noch dazu so beengt wie es die Seeleute und Forscher auf der Resolution waren. Die Resolution war 34 m lang, fast 11 m breit und mit 112 Mann besetzt. Es geht fast über meine Vorstellungskraft wie eng es auf dem Schiff gewesen sein muss.

John Webber hatte auf dem Schiff eine kleine Kabine, in der er auch zeichnete und malte. Hartmann nimmt im Text oft Bezug auf die Gemälde Webbers und es hat mir Freude bereitet, die unterschiedlichen Bildern mit Hilfe von Google zu suchen und zu finden.

Nach der vierjährigen Reise, zurückgekehrt nach London wurden von den Finanziers der Expedition Kupferstecher beauftragt, die zusammen mit Webber seine Bilder in Radierungen umsetzen, die in einem Buch mit dem Expedionsbericht verarbeitet wurden. Knapp 53.000 € kostet heute eine Ausgabe dieser Bücher. Wie gerne würde ich eines davon einmal in der Hand halten und anschauen!

Entstehung blaue Vogelbeere (c) Zeichnung von Susanne Haun
Entstehung blaue Vogelbeere (c) Zeichnung von Susanne Haun

Hartmann lieh sich für seine Recherchen unter anderem den Reisebericht von der Stadt- und Universitätsbibliothek Bern aus. Ob wir in einer Berliner Bibliothek auch eines der Bücher verwaren? In der Nachbemerkung des Buches verweist Hartmann auf das Quellenverzeichnis zum Buch auf seiner Homepage. Ich bin beeindruckt von der großen Sammlung von Quellen und Internetseiten; ich mußte aufpassen nicht längere Zeit darin zu versinken als ich gerade zur Verfügung habe.

Auf dem Blog Lesewelle gibt es einen Bericht zu einer Lesung von Lukas Hartmann in Zürich.

Gefallen haben mir auch einige Sätze, die Hartmann Webber und Cook in den Mund legte:

“ „Ich zeichne, Sir, ich male“ sagte Webber (…) „Ich urteile nicht.“
„Ach was! Sie urteilen, gewollt oder ungewollt, mit jedem ihrer Striche, denn Sie weichen immer um ein Winziges vom Modell ab, das sie abbilden wollen. Die Abweichungen geben, zusammen genommen, Ihre Sicht wieder, und die entspricht ihrem Urteil.“ Cook “
Lukas Hartmann in „Bis ans Ende der Meere“

Entstehung blaue Vogelbeere (c) Zeichnung von Susanne Haun
Entstehung blaue Vogelbeere (c) Zeichnung von Susanne Haun

Genau das ist es, was das zeichnen ausmacht! Mit jeder Zeichnung schreie ich meine subjektive Meinung in die Welt. Selbst wenn wie heute, Beeren darauf sind!
Eine von Webbers Aufgaben auf der Reise bestand auch darin, die vorgefundene, unbekannt Botanik festzuhalten.

For my english reader:
I recently read Lukas Hartmanns book „The Far Side of the Sea“. The book is about the painter John Webber, who traveled with Cook arround the world. At the time of James Cook’s travel the camera isn’t invented, so he took various artists on board of his boots. On his third voyage John Webber was lucky enough to travel with him. Lukas Hartmann describes vividly and empathetically the journey from 1776 – 1780.

Zur Zeit läuft die zweite Woche unserer Blogparade. Ute Schätzmüller stellte die Frage “Darf das Geschlecht der Künstler in der Rezeption und Beurteilung der Kunst eine Rolle spielen?” Wer Lust hat kann hier in die Diskussion einsteigen.

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Quelle
Lukas Hartmann, Bis ans Ende der Meere, Diogenes 2009
http://wwww.lukashartmann.ch

22 comments

  1. Da gehe ich mit dir einig, ich würde auch gern einmal in einem dieser fantastischen Bücher blättern. Übrigens gab es, als das Buch herauskam, als Begleitung, auch eine Ausstellung in Bern zu John Webber. Leider habe ich sie damals nicht gesehen.

    1. Guten Morgen buechermaniac, in der Literaturliste auf der Homepage habe ich gelesen, dass Hartmann auch das Ethnologische Museum in Dahlem als Quelle angibt. Ich werde es demnächst besuchen und schauen, was es dort zu schauen gibt.
      Außerdem wollte ich in der Bilbliothek des Kunsthistorischen Instituts stöbern. Da gibt es bestimmt auch etwas.

  2. „Ich zeichne, Sir, ich male“ sagte Webber (…) „Ich urteile nicht.“

    „Ach was! Sie urteilen, gewollt oder ungewollt, mit jedem ihrer Striche, denn Sie weichen immer um ein Winziges vom Modell ab, das sie abbilden wollen. Die Abweichungen geben, zusammen genommen, Ihre Sicht wieder, und die entspricht ihrem Urteil.“

    Eine interessante Sicht auf die Zeichnung. Aber ist meine Sicht der Dinge tatsächlich schon ein Urteil über die Dinge? Also mein Versuch der Beschreibung der Dinge ist ein Urteil über die Dinge? Begreifen gleich urteilen?

    Ich weiß nicht so recht. Muss ich noch drüber nachdenken.

    Ist es nicht vielmehr ein Versuch, die Dinge aus meiner Sicht zu beobachten, um sie besser zu verstehen?

    Ein Urteil fällt dann ja eher der Betrachter.

    Subjektiv.

    1. Ja, Armin, ich fand das auch eine sehr interessante Herangehensweise.

      Eine meiner Intensionen zur Zeichnung ist es auch wie bei dir, die Dinge zu erforschen, um sie besser zu verstehen.

      Eine meiner weiteren Intensionen ist, Geschichten zu erzählen und meine Sicht der Welt darzustellen.

      Die Frage ist, ob der Betrachter nicht eine ganz andere Sicht zu meiner Zeichnung hat und aus meiner Zeichnungen versteht.

      Zeichner und Betrachter fällen Urteile, es müssen bloß nicht dieselben sein. Das finde ich nicht schlimm.

      Interessant ist es mit dem dokumentarischen Anspruch. Was ist dann eine Dokumentation? Selbst ein Foto ist es nicht.
      Sind wissenschaftliche Texte Dokumentationen? Gehen die nicht auch von Thesen aus?
      Und was ist der Ursprung aller Quellen? Wie mache ich eine Quelle fest und unterscheide sie von der Sekundär Literatur?

      Das sind die Fragen, die ich mir da auch stelle. Gerade im Zusammenhang mit dem Buch von Hartmann.

  3. Wirklich ein hochinteressanter Gedanke, wobei „Urteil“ so etwas Endgültiges, Abgeschlossenes hat. Vielleicht ist es zunächst nur die Perspektive, unter der man sich zeichnerisch oder auch schriftstellerisch die Welt erschließt und diese damit den Betrachtenden oder Lesenden präsentiert. Diese wiederum könnten dann insofern „urteilen“, als sie dieser Perspektive zustimmen oder sie zumindest einnehmen können, um dann zu sehen, ob sie sie auch teilen.

    1. Ja, da gebe ich dir recht, Petra, URTEILEN ist ein harter Begriff und eigentlich schon sehr mit dem juristischen verhaftet.
      Perspektive und Sichtweise sind da bessere Worte.
      Ich gehe nicht an eine Zeichnung, um zu urteilen, sondern um zu erzählen und mich mit Dingen auseinander zu setzen, zu diskutieren.

  4. Ob man überhaupt eine Sicht auf die Dinge haben kann, ohne sie mit seinen eigenen (Vor)urteilen zu färben? Gleichwohl – danke für diesen wundervollen Post und die interessanten Kommentare dazu. Und ohne die „Schiffszeichner“, ohne die Illustratoren, die früher, vor Erfindung der Fotografie, bei den großen Reisen der Welt dabei wären, könnten wir uns heute gar kein Bild von diesen Zeiten machen…

    1. Ich denke nicht, Birgit.
      Aber vielleicht findest du genug Prämissen, um dein (Vor)Urteil zu beweisen 🙂 🙂
      Im Kontrast dazu lese ich gerade einen Text über Dürer und die Imagination und ob er sich mit seinen Wesen in den Kupferstichen zu weit in seine Fantasie vorgewagt hat. Sehr interessant…….. Vielleicht geben diese Stiche ein Bild der Fantasie der damaligen Menschen wieder…

      1. Nein, da habe ich mich zu vage/missverständlich ausgedrückt…natürlich sieht man alles über/durch die eigene Brille…vom Medium Bildende Kunst zum Medium Literatur: Ich las heute ein Zitat, das sinngemäß meint, Geschichte ist nur das, was uns erzählt wird. Also, Geschichtswissenschaft ist eben auch Interpretation, nicht das Tatsächliche…so ist tatsächlich alles, was an Welterzählung da ist, ob in Bild, Wort oder Ton letztendlich doch Ausdruck eines subjektiven Empfindens. Und das ist ja auch schön sl. LG Birgit

        1. Ja, ich hatte es auch so verstanden, Birgit. In den Geistenwissenschaften werden viele Begründungen gesucht, warum ein Tatbestand zutreffen soll. Aber natürlich können wir nur aus dem Folgern, was überliefert wurde und das ist, wie du schon schreibst, festgehalten durch die Brille eines anderen. Ob er richtig beobachtet hat oder wir anders beobachtet hätten, das können wir nicht sagen…..
          Jeder sieht auf seine Art, die nicht die Art des anderen sein muß.
          Ich wünsche dir einen schönen Wochenbeginn, Susanne

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