Ein Provinsstädtchen und die Zeit – Collagen von Susanne Haun

Ich freue mich immer, wenn sich meine Projekte berühren.  

So spricht Michail Bachtin in seinem Buch „Formen der Zeit im Roman“ von Flauberts „Madame Bouvary“.

Er geht auf den Ort der Handlung des Provinsstädtchens in „Madame Bouvary“ ein.

Blatt 8 Am Meer 25 x 25 cm (c) Collage von Susanne Haun
Blatt 8 Am Meer 25 x 25 cm (c) Collage von Susanne Haun

Bachtin spricht davon, dass sich die Zeit in Provinzstädten in Kreisen bewegt, der Kreis kann Stunde, Tag, Monat oder ein ganzes Leben beinhalten, es sind zyklische Alltagszeiten. Die Menschen essen, trinken, schlafen sie leben oder erleben normale, gewöhnliche zyklische Alltagszeit. Bachtin beschreibt diese Zeit als „zähe, klebrige Alltagszeit“ weswegen sie in einem Roman immer nur eine Nebenzeit sein kann. Sie kontrastiert zur eigentlichen aufregenden Zeit der Geschichte.

„Städtchen dieser Art sind Stätten der zyklischen Alltagszeit. Hier gibt es keine Ereignisse, sondern nur sich wiederholende Begebenheiten.“² Micahil Bachtin

Es sind mir gleich einige Autoren in den Sinn gekommen, die als Nebenzeit ein Provinzstädtchen bevorzugen wie z.B. John Irving oder Rita Mae Brown. Könnt ihr mir einen deutschen Autor nennen, der seine Handlung in kleinen Dörfern spielen lässt?

Blatt 9 Haustier in der Stadt 25 x 25 cm (c) Collage von Susanne Haun
Blatt 9 Haustier in der Stadt 25 x 25 cm (c) Collage von Susanne Haun

Im Laufe der letzten Woche sind neue Collagen aus dem alten Fotoalbum entstanden. Ich sehe auf den Fotos die sich wiederholenden Zyklen, von denen Bachtin spricht. Die Fotos mit der Unbekannten am Strand, auf der Parkbank oder bei der Arbeit. Diese Art von Fotos finden sich in jedem Fotoalbum. Meine Oma steht als junge Frau mit einem großen Hund vor einer Statue in Berlin, meine Mutter steht auf einem Foto in der Schallplattenabteilung des Kaufhauses Bilka, ich stehe in meinem Atelier. Die Zeit ist zyklisch, was macht jedes einzelne Foto besonders?

Hier könnt ihr meine Beiträge zu den Collagen gesamt betrachten.

Blatt 10 War sie Schneiderin 25 x 25 cm (c) Collage von Susanne Haun
Blatt 10 War sie Schneiderin 25 x 25 cm (c) Collage von Susanne Haun

For my English-speaking readers:
I’m always happy when my projects touch themselve.

Michail Bachtin speaks in his book „Forms of time in the novel“ from Flaubert’s „Madame Bouvary“.
He goes to the place of action  in „Madame Bouvary“, the little country town.
Bachtin said that time is moving in country towns in circles, the circle may include hour, day, month, or a lifetime, there are cyclical periods everyday. People drink, eat, they sleep or live experience normal, ordinary cyclical everyday time. Bachtin describes this time as „viscous, sticky day time“ in a novel, which is why they can only ever be a next time. It contrasts to the real exciting time in history.

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²Bachtin, Michail, Formen der Zeit im Roman, Frankfurt am Main, 1985 [1975]

12 comments

  1. Wunderbare Schilderungen aus einem hessischen Dorf sind die von Peter Kurzeck „Ein Sommer, der bleibt“. Gibt es nur als Hörbuch, gesprochen vom Autor.
    Spannend, Deine Collagen!
    Grüße aus Frankfurt von Elisabeth

    1. Das hört sich klasse an, Elisabeth. Ich bin ein großer Hörbuch Fan und habe es auf meine Audible Wunschliste gesetzt.
      Ich habe dort ein Abonement und an jedem Monatsende überlege ich, welches Hörbuch ich dafür nehme. Nicht einfach!
      Danke und viele Grüße aus Berlin nach Frankfurt sendet
      Susanne

  2. Handlungen in kleinen Dörfern?
    Da fällt mir gleich ein: Strittmatter, Der Laden; Fallada, Wolf unter Wölfen; Surminski, Kudenow; fast alle Geschichten von Ludwig Thoma.
    Und natürlich: Adams, Per Anhalter durch die Galaxis (aber nur die ersten 3 Seiten!).

    1. Klar, Reinhard, der Strittmatter! Den habe ich auch im Regal zu stehen. Er ist zwar von seinem Leben sehr in Verruf gekommen aber die Bücher haben damit ja nichts zu tun.

      Auf den Anhalter wäre ich jetzt weniger gekommen .. Aber der Bagger zerstört ja auch die Kleinstadt Idylle!

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