Wie verstehe ich Schein und Täuschung bei Hegel – Susanne Haun

„Den Schein und die Täuschung dieser schlechten, vergänglichen Welt nimmt die Kunst von jenem wahrhaften Gehalt der Erscheinungen fort und gibt ihnen eine höhere, geistgeborene Wirklichkeit.“² Hegel

Das ist wahrhaftig kein leichter Satz, den Hegel in seiner Vorlesung über die Ästhetik schreibt. Was möchte er damit ausdrücken?

 

Florales (c) Zeichnung von Susanne Haun
Florales (c) Zeichnung von Susanne Haun

 

Hegel vergleicht Schein und Täuschung mit der Geschichte, die ebenso durch das unmittelbar Sinnliche verunreinigt ist.

Ich verstehe es so, dass 20 Augenzeugen die Geschichte in 20 unterschiedlichen Fassungen erzählen, sie somit das unmittelbare Sinnliche verunreinigen. Um diese Verunreinigungen möglichst gering zu halten, wird die Geschichte heute mit unterschiedlichen Methoden betrachtet, es gibt Kongresse, in denen die Ergebnisse besprochen werden. Die Geschichte hängt nicht mehr an die Erzählweise eines einzelnen, damit sollte der Schein und die Täuschung geringer gehalten werden. Ob das tatsächlich der Fall ist – das kann ich nicht beurteilen, ich kann es nur hoffen.

Ich verstehe Hegel so, dass die Kunst den Schein und die Täuschung fort nimmt und den Erscheinungen eine Wirklichkeit gibt.

Was sagt ihr dazu?

Ist es möglich, dass die Kunst ungefiltert, rein und ohne Täuschung etwas zeigen kann? Ich kann mir das schwer vorstellen. Wie muß die Kunst aussehen? Und von welcher Art ist der Charakter des Künstlers, der diese Kunst erstellt?

 

Florales (c) Zeichnung von Susanne Haun
Florales (c) Zeichnung von Susanne Haun

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²Hegel, G.W.F., Werke in 20 Bänden, Band 13, Vorlesung über die Ästhetik I, Frankfurt a.M., 1970, Seite 35.

 

11 comments

    1. So lese ich Hegel nicht, Erich.
      Er möchte die Kunst zur Wissenschaft erheben.
      Aber wir sind auch erst bei der Einleitung, den Begriffsdefinitionen sozusagen, im Seminar.
      Ich bin gespannt, was ich noch alles aus der Diskussion über die Ästhetik Hegels lerne.
      Einen schönen Tag wünscht dir Susanne

  1. Liebe Susanne, ich habe das mit großem Interesse gelesen – und kann da aber leider nichts weiter zu beitragen, ich weiß noch nicht mal zuverlässig was „Wirklichkeit“ ist … Herzliche Grüße!

  2. Ist, wie so oft bei dem guten Hegel, recht schwierig. Ich glaube nicht, dass das etwas mit Geschichte zu tun hat. Die „schlechte, vergängliche Welt“ ist die Welt des Scheins und der Täuschungen. Das ist diese, die alltägliche, realistische Welt. Daneben gibt es eine höhere, geistige Welt, die wahre Welt, die nicht durch Täuschungen verstellt oder verfälscht ist. – Dieser Gegensatz „diese Welt“ und „wahre Welt“ hat eine lange Tradition durch die ganze christlich geprägte Philosophie durch und Hegel kann man oft nur dann verstehen, wenn man nicht vergisst, dass er tief in der christlichen Tradition steht. Auch seine gesamte Ästhetik (die ja bei Hegel nicht die Lehre von der Kunst ist, sondern die Lehre vom Schönen!) ist nur zu verstehen, wenn man sieht, dass bei ihm die Kunst dazu dient, das Geistige, also eigentlich den guten, göttlichen Geist, zu befördern. So ist das mit der „höheren, geistgeborenen Wirklichkeit“ zu veerstehen: die wahre Kunst entlarvt das normale, diesseitige Leben als eine Täuschung, einen Verblendungszusammenhang, etwas, das allenfalls scheinbar einen Wert hat. Die wahre Kunst setzt an die Stelle der falschen Welt die wahre Schönheit, und die wahre Schönheit kann nach Hegel immer nur eine Schönheit sein, in der sich das letztlich einzig richtige Schöne spiegelt, nämlich die Schönheit des guten göttlichen Geistes, die „höhere, geistgeborene Wirklichkeit“. ——
    Puh, hoffentlich war das verstehbar …

    1. hej Martin, Chapeau, das hast du wunderbar gesagt und so kann ich es verstehen und unterschreiben- zwar war etwas von deinem in mir, aber niemals hätte ich das so klar sagen können. Danke!!!
      und herzliche Grüsse
      Ulli

    2. Klar war das verstehbar, Martin und es hat mir auch sehr geholfen. Wie war das? Hast du nicht geschrieben, dass du dich mit Hegel nicht weiter auseinander gesetzt hast 🙂 ? Das klingt aber ganz anders 🙂 🙂

      Jedoch würde ich den Geist vom göttlichen lösen. Unser Philosophie Dozent erklärte, dass Hegel den christlichen Gott als nur durch die Gemeinde existierend sieht. Aber durch die Tradition kann es gut sein, dass er sich gedanklich vom christlichen nicht so lösen kann, wie er das möchte. Was meinst du?
      Ich habe Hegel so verstanden, dass er das Natürschöne vom Kunstschönen löst und selbst ein schlechtes Kunstwerk als wertvoller empfindet als ein Produkt der Natur, wie eine Blume. Denn das Kunstschöne entspringt dem Geist und geht somit aus einer autonome Handlung hervor, während das Naturschöne einfach „da“ ist.
      Auf Seite 23 im ersten Band der Ästhetik spricht Hegel davon, vom Schein der Kunst und dem Schein der Geschichtsschreibung. Ich habe Hegel zu gelesen, dass beidem die Täuschung, Subjektivität, innewohnt.
      Ich freue mich über diese Diskussion, Martin!

      1. … ja, das war auch bei Kant präsent: Das Naturschöne wird getrennt vom Kunstschönen. Und da spielt natürlich der Geist eine wichtige Rolle. Wie Hegels Position zum Christentum und Gott ist, weiß ich auch nicht so genau, da wird der Dozent sicher besser informiert sein. – – kann leider ab morgen nicht mehr so recht mitdiskutieren, da wir 11 Tage unterwegs sein werden …. LG Martin

        1. Dann wünsche ich euch einen schönen Aufenthalt, Martin.
          Kant kommt in Hegels Schrift an vielen Stellen zum Vorschein. Auf Seite 83 referiert er ein ganzes Kapitel zu Kant.
          Die Diskussion hält bestimmt noch länger an …..
          Grüße von Susanne

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