Meine Gedanken zur Ohrfeige – Susanne Haun

Im Februar hörte ich das erste mal von Abbas Khiders Roman „Die Ohrfeige“; ich las ein Interview mit Khider im Tagesspiegel (siehe hier).

Die Hand (c) Skizze von Susanne Haun
Die Hand (c) Skizze von Susanne Haun

Das Interview war anregend und ich entschloss mich, das Buch zu lesen. Leider war es in der Bücherei lange vorbestellt und so reihte ich mich in die Reihe der Vorbestellungen ein, die für mich irgendwann im September enden sollte.

Claudia vom grauen Sofa schrieb eine Besprechung des Buchs auf ihrem Blog (siehe hier). Sie kritisiert die Sprache des Romans und die nahezu emotionslose Erzählart des Autors. Diese Besprechung fachte meine Neugier noch mehr an und netterweise borgte Claudia mir das Buch. Herzlichen Dank an dieser Stelle noch einmal dafür!

Das Buch ist einfach zu verstehen und besitzt einige Kraftausdrücke. Für mich ist das eher authentisch. Kann ich denn Prosa über die Zustände in einem Asylbewerberheim schreiben? Ist das dann noch authentisch? Mir hat gerade die unblumige Sprache gefallen. Durch den dokumentarischen Stil wirkt für mich die Situation authentischer. Ich wohne in Berlin-Wedding, wenn ich die Straße entlanglaufe und an Khiders Roman denke, dann nicke ich! Ja, er hat die Situation gut getroffen! Bei einigen Szenen hatte ich „Aha-Erlebnisse“ und es freut mich direkt, dass ich nun eine Vorstellung davon bekommen habe, was in den vielen Läden, die mit Kulturzentrum betitelt sind, vorgeht.

Ich fragte mich schon ziemlich schnell, wer die Zielgruppe des Romans sei. Bin ich Frau Schulz von der Ausländerbehörde, der Khider im Buch seine Situation beschreibt? Nein, ganz sicher nicht. Ich hatte in meinem Leben mit so vielen Frau Schulz in den Behörden zu tun, dass ich hier eher auf der anderen Seite stehe und die wütende Verzweiflung auf die motivationslose Verwaltungsangestellte teile! Im Moment schaffe ich es nicht einmal einen Termin beim Bürgeramt in Berlin zu bekommen. Es sind katastrophale Zustände!

Spricht Khider mit seinem Roman die vielen Exilanten und Asylanten in Europa an, die ihren Leidensweg im Buch wiedererkennen? Sicher auch, aber auch ich fühle mich angesprochen. Ich stelle mir die Ausweglosigkeit des Studenten Rafid vor, der keine Möglichkeit der Recherche findet. Kann sich jemand vorstellen, was es bedeutet, kein Lexika, keine Bücherei für Fachbücher und Internet zu besitzen? Mich schaudert es! Und das ist ja schon ein Problem auf hoher Ebene!

Ich fühle mich angesprochen vom Buch, es hat mich noch mehr sensibilisiert als ich als Berlin Weddingerin schon bin. Jedoch gehöre ich der Rand- und Außenseitergruppe „Künstlerin“ an. Oder bin ich eine Bildungsbürgerin? Eine Akademikerin oder schlicht und einfach Susanne Haun?

Nachdem ich diese Worte schrieb, lieh ich mir aus der Bibliothek Jenny Erpenbecks Buch „Gehen, ging, gegangen“ aus. Ich bin also noch am Anfang des Buches, der scheinbar grob gesagt drei Problematiken vereinen möchte: Den Übergang von der Arbeitswelt in Rentnerdasein, die Entwurzlung der Menschen der DDR, die Probleme in einer Ehe und die Flüchtlingsproblematik. Die Erzählung ist prosaisch geschrieben. Sie bringt mich vielen Dingen näher und sie beschreibt die Dramatik aller Handlungsstränge gut. Aber ich fühle mich nicht so unmittelbar angesprochen wie von Khider. Der Protagonist Richard ist nicht beliebig wie Frau Schulz. Er bringt schon eine Sichtweise auf die Probleme mit. Hier ist die Buchbeschreibung von Claudia.

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Khider, Abbas. Ohrfeige, München 2016.
Wer ein weiteres Interview mit Khider im Tagesspiegel lesen möchte, der schaue hier.

Erpenbeck, Jenny. Gehen, ging, gegangen, München 2015.

7 comments

  1. Liebe Susanne,
    bei der Ohrfeige bin ich noch unschlüssig, ob ich es lesen soll … aber ich fand deine Überlegungen interessant – wie sich die Sichtweise auf ein Buch auch verändert, wenn man sehr nah am Beschriebenen lebt – da müsste man mal noch nachhorchen: Lese ich ein Buch im relativ „heilen“ Augsburg anders als mitten in Berlin? Bestimmt… ein schönes Pfingstwochenende wünsche ich Dir!

    1. Liebe Birgit,
      ich denke auch, dass je nach Wohnort wirklich eine andere Perspektive auf das Buch geworfen wird. Ich habe vorher nicht darüber nachgedacht aber nach deinen Zeilen scheint es ganz klar.
      Ich habe als Mädchen schon die erste Welle der türkischen Gastarbeiter miterlebt und durch die Schule auch Kontakt mit türkischen Familien gehabt. Bei einer Freundin war ich auch öfter zuhause eingeladen und so sind mir fremde Kulturen vertraut geworden und haben meine Neugier geweckt.
      Ich bin inzwischen bei der Hälfte des Jenny Erpenbeck Textes angelangt; es ist schon so, dass mir das Buch gefällt. Aber es läuft bei mir nicht primär unter dem Thema „Flüchtlingswelle“, dazu sind die Probleme des Erzählers zu groß und völlig anders gewichtet. Hast du das Buch „Gehen, ging, gegangen“ gelesen?
      Auch für dich frohe Pfingsten von Susanne

  2. es hat mir sehr gefallen, wie du deine Buchbesprechung mit der Lebenswelt der Susanne Haun verbindest – direkt, ohne Umschweife. dazu die Hände. Einfach und autentisch.

    1. Danke, Gerda. In Berlin Wedding ist die Flüchtlingsfrage, Integration, Migration und das Miteinander ein Bestandteil des täglichen Lebens, deshalb konnte ich gar nicht anders als mich angesprochen fühlen.

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