12 U-Bahnminuten entfernt – Susanne Haun

Die Gewalt rückt an einen Ort vor, den ich seit meiner Kindheit besuche, wo ich hingehe, um Kaffee zu trinken, um mich mit Freunden zu treffen und wo eines der Kinos meiner Kindheit liegt. 12 U-Bahn-Minuten benötige ich mit der U9 von zuhause zum U-Bahnhof Zoo und zum Breitscheidplatz.

Sehr ungläubig habe ich gestern Abend im Fernsehen die Ereignisse verfolgt und ob der Dimension für die Angehörigen der Verstorbenen und der Verletzten und letztendlich auch ob der Dimension für unser Berlin konnte ich nicht verhindern, still vor mich hin zu weinen.

War ich nicht erst letzte Woche im Bikinihaus? Und bin ich nicht das ganze vorige Semester Bahnhof Zoo ausgestiegen, um  zu meinem Seminar an der udk zu gelangen? Hat Mama mich nicht als Kind an die Hand genommen und mir erklärt, warum die Gedächtniskirche keine Spitze hat und was es mit dem Gedächtnis vor dem Wort Kirche auf sich hat?

Ich bin traurig und bewegt, werde mein Leben jedoch nicht ändern. Ich werde weiter im Zoopalast auf der großen Leinwand Filme schauen, werde weiter über Weihnachtmärkten laufen, werde weiter U-Bahn fahren und zu anderen Orten fliegen und werde weiter mein Leben in Freiheit leben.

 

Ich sende den Angehörigen der Betroffenen Kraft, diese Situation zu bewältigen.

 

Entstehung Feurige Blumen auf dem Kreuz (c) Zeichnung von Susanne Haun
Entstehung Feurige Blumen auf dem Kreuz (c) Zeichnung von Susanne Haun

 

 

20 comments

  1. Liebe Susanne,
    vielen Dank für Deine trauernden, aber vor allem auch mutigen und entschlossenen Sätze! Lass es uns immer wieder genau so machen, wie Du es beschrieben hast, nämlich Filme schauen, U-Bahn-fahren, auf Weihnachtsmärkte gehen, im Sommer in die großen und kleinen Biergärten, auf Trödelmärkte, Konzerte usw. usw.
    Viele Grüße nach Berlin, Claudia

  2. Wie viel Verblendung und sinnloser Hass, wie wenig Selbst WERT Gefühl muss in solchen kranken Hirnen stecken, dass man Unschuldige gewollt in den Tod reißt. Auch ich saß wie hypnotisiert vor dem Fernseher und konnte nicht glauben was ich sah und hörte. Ich bin froh und dankbar, dass meinen Berliner Freunden nichts passiert ist, drücke den Betroffenen mein tief empfundenes Mitgefühl aus und JA, du hast vollkommen recht: Wir müssen unser Leben weiterleben, diesen Idioten Paroli bieten – und achtsam bleiben – für uns alle!

  3. Liebe Susanne,

    ich habe es erst heute Abend mitbekommen und war erst einmal vollkommen sprachlos-
    Mir tut deine Entschlossenheit gut, es ist auch für mich die einzig stimmige Haltung.
    Letztens fand ich folgendes Gedicht von Rose Ausländer:

    „Im neuen Jahr
    grüße ich
    meine nahen und
    die fernen Freunde
    grüße die
    geliebten Toten
    grüße alle
    Einsamen
    grüße die Künstler
    die mit
    Worten Bildern Tönen
    mich beglücken
    grüße die
    verschollenen Engel
    grüße mich selber
    mit dem Zuruf

    Mut“

    herzliche Grüsse
    Ulli

  4. Ich saß mal alleine mit nen Kumpel im Zoopalast und habe RocknRoller geschaut.
    Danke für die Erinnerung😉
    Auf der A2 gab es schon so viele Tote, trotzdem fahren alle weiter auf ihr.
    Berlin war mal zerstört, ist wiederaufgebaut worden, auch diese Geschichte wird Berlin durchleben.

    1. Danke für deinen Kommentar, aquasdemarco.
      Sicher, wir leben alle weiter, aber die Toten auf der A2 hinterlassen Wunden, genauso wie der 2. Weltkrieg Wunden hinterlassen hat, die sogar vererbt wurden.

      1. Ja, aber nennt sich das nicht Leben?
        Ich bin mir selbst nicht sicher, warum die Menschen nicht schlauer werden, langsamer fahren, dass Töten lassen.
        Leider ist es uns nich möglich auf das große Ganze zu schauen, dann würden wir den Sinn vielleicht verstehen.

        1. Hallo Marco,

          ich habe dir neulich eine falsche email gesendet, entschuldigung 🙂
          Ich habe die falsche email-Adresse aus dem Blog gegriffen, bin aber zum Glück von der richtigen Empfängerin angeschrieben worden, die meine Mail vermisste.

          Es ist schade, dass wir nicht auf das große Ganze schauen können, ich bin sehr neugierig und diese Neugier wird nicht gestillt. Es ist auch schade, dass wir nur einen kleinen Ausschnitt des Weltgeschehens erleben. Aber so ist es nunmal …..

          Ein schönes Neues Jahr von Susanne

    1. Danke, Gerda.
      Ich möchte kurz an unsere Diskussion über die öffentlich rechtliche Presse anknüpfen.
      Ich habe am Montag ab 22 Uhr rbb geschaut, das 3. Programm der ARD für Berlin. Es ging aus dem sfb und dem orb hervor. Die Berichtserstattung war betroffen aber auch neutral. Die Menschen zuhause wollten unterrichtet werden. Die Sendung musste gefüllt werden. Sicher, wir haben dreimal (oder sogar mehr) den selben Filmausschnitt gesehen – ohne erkennbare Tote, es war, wenn es so etwas gibt, ein neutrales Stück Film. Neuigkeiten gab es kaum, immer wieder wurde das betont. Den ganzen Abend wurde auch betont, dass es unklar ist, ob es ein Unfall oder ein Attentat war. Es wurde auch immer wieder betont, dass man nicht wisse, ober der Mann, der gefasst wurde, auch der Täter ist.
      Es wurden Sicherheitsexperten befragt, Politiker, Feuerwehr und Polizei. Es wurden an diesem Abend keine Betroffenen und kaum Anwesende Privatpersonen interviewt. Ich mag unseren neuen Bürgermeister nicht besonders (meine subjektive Meinung) aber eine Antwort fand ich klasse, gefragt wordend, was er von den Vorfällen am Breidscheitplatz weiß, antwortete er „Ich weiss nichts!“.
      Die Bevölkerung wurde immer wieder aufgefordert, keine Gerüchte über Facebook und Twitter zu verbreiten und die Rettungswege frei zu halten.
      Die Berliner Morgenpost (Springer Presse) hat ein privates YouTube Video angekauft, dass so weit ich weiss, einmalig im rbb gezeigt wurde. Hier kann diskutiert werden, ob das notwendig war.
      Ich kann aber auf keinem Fall Form7’s Artikel zustimmen, der in lauten Tönen über die öffentlich rechtliche Presse in Bezug auf den Vorfall am Breitscheidplatz schimpft.
      Liebe Grüße sendet dir Susanne

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