Die documenta 14 sprach meine Sinne größtenteils nicht an und doch war es faszinierend – Susanne Haun

documenta 14 - Fridericianum (c) Foto von Susanne Haun
documenta 14 – Fridericianum (c) Foto von Susanne Haun

Ich wollte nur einen schnellen Blick auf die die documenta 14 werfen und so ging es nach einem Besuch bei meinem Sohn in Göttingen weiter nach Kassel.

Eigentlich schließt sich documenta und schnell schon aus. Einen ganzen Tag hatten wir uns für die weltweit größte Ausstellung reserviert, aber schon nach drei Stunden waren wir genervt von den vielen Menschenmengen. Nach einem Spaziergang in der Karlsaue, die mich 2012 besonders beeindruckte (siehe hier), haben wir beschlossen lieber die Gemäldegalerie alter Meister auf der Wilhemshöhe zu besuchen und anschließend nach Hause zu fahren.

Wir begannen mit der documenta Halle, die Schlange am Eingang war lang aber es ging zügig voran. Es war innen so voll, dass ein sinnlicher Eindruck so gut wie gar nicht möglich war. Von den Fotos von Gerda aus Athen (siehe hier) kannte ich schon Cecilia Vicunas Werk Quipu Womb (The Story of the Red Thread, Athens, 2017, gefärbte Wolle, ca. 6 x 8 Meter) ich habe extra ein Foto für Gerda gemacht, damit sie das Werk im Kontext der documenta Halle in Kassel sehen kann. Interessant fand ich den textilen Wandbehang Historja (2003 – 2007, Stickereien, Druck, Applikationen und Wolle auf Leinen, 39 cm x 23,5) von Britta Marakatt-Labba. Auch die aus Schiffswrackteilen bestehenden Musikinstrumente (Fuilermo Galindo, Fluchtzieleuropa-havarieschallkörper 2017) fielen ins Auge, alle drei von mir genannten Werke vermittelten eine besondere, konträre Haptik.

 

documenta 14 - Parthenon der Bücher (c) Foto von 4 documenta 14 - Parthenon der Bücher (c) Foto von M.Fanke
documenta 14 – Parthenon der Bücher (c) Foto von 4 documenta 14 – Parthenon der Bücher (c) Foto von M.Fanke

 

Es war mir aufgrund der Fülle nicht möglich, die Werke in den kleinen Räumen wahrzunehmen, dummerweise wollten wir von unten durch das Café nach oben. Auch das war nicht möglich – die Halle wurde gerade wegen Überfüllung geschlossen.

Ich war froh, wieder draußen zu stehen und wir machten uns auf den Weg zu Marta MinujínsParthenon der Bücher“, der mir ausgesprochen gut gefiel. Es ist ein beeindruckendes Bauwerk und wir erlebten auch mit, wie eine der letzten Säulen mit „verbotenen“ Büchern gefüllt wurde. Es war interessant, die verbotenen Bücher zu betrachten und freute mich über entdeckte Werke, die auch in meinem Bücherregal stehen. Aber in welchem Teil der Welt sind eigentlich Konsalik Bücher verboten? Es interessiert mich wirklich – vor allem auch die Begründung.

Ein Pendant zum Parthenon der Bücher ist über dem Eingang des Fridericianums zu finden, es steht nun statt Museum Fridericianum „Being safe is scary“ – zu deutsch: „Sicher zu sein ist beängstigend“, ein Werk der Künstlerin Banu Cennetoglu.

 

documenta 14 - Fridericianum (c) Foto von Susanne Haun
documenta 14 – Fridericianum (c) Foto von Susanne Haun

Die Mühle des Blutes (Antonio Vega Macotela, The Mill of Blood) vor der Orangerie war schon gleich am Anfang der großen Show aufgrund der Aktion zweier Kinder reparaturfällig. Nun läuft sie nur noch zwei Stunden an bestimmten Tagen, an denen wir nicht Vorort waren. Die documenta braucht für den Betrachter immer mehr Vorbereitungszeit, um den Kontext zu verstehen. Die Blutmühle ist ein Nachbau einer der Mühle die in Bolivien zur Zeit der spanischen Eroberer unter Einsatz von Sklaven Silbermünzen prägten. Leider war das Werk wie so viele andere Werke gar nicht bis spärlich beschriftet. Bis auf den Künstlernamen gibt es meistenteils kaum Informationen zu den Werken oder zur Technik oder wenigstens kurzen Hinweisen zum Sinn. Für mich ist der Sinn der Blutmühle ohne die eigene Aktion verfehlt. Denn nur, wenn ich selbst in die Mühle steigen und sie drehen kann, kann ich doch verstehen, was der Künstler mir sagen will.

 

documenta 14 - Orangerie (c) Foto von M.Fanke
documenta 14 – Orangerie (c) Foto von M.Fanke

Sehr gut hat mir die Videoinstallation des Filmkünstlers Romuald Karmakar, BYZANTION (2017, 14 Minuten) in der Orangerie gefallen. Hier konnte ich einen Bezug zur Buchmalerei des Mittelalters herstellen, das reduziert bewegte Bild und die Chorgesänge hatten beruhigende Wirkung auf mich. Ich empfinde solche Bezüge wichtig, um mich mit einem Werk auseinanderzusetzen und mich zurechtzufinden. Ich kann mich der Kunst nur entsprechend meiner Sozialisierung nähern. Ja, meine Sozialisierung ist europäisch geprägt. Ich bin Europäerin also geht es nicht anders. So wie ein Afrikaner oder Asiat sich den Werken in seiner Sozialisierung nähert. Der Betrachter vollendet das Werk.

In der Gemäldegalerie in Kassel im Schloss Wilhelmshöhe habe ich mir speziell die Utrechter Caravaggisten angeschaut. Die Beschriftung und die Zusatzinformationen zu Restaurierungen waren löblich! Im ersten Stock konnten wir durch die Fenster die Achse des Parks bewundern. Leider ist fotografieren im gesamten Museum ohne Fotogenehmigung nicht gestattet. Die berühmten Wasserkaskaden Kassels werden nur an zwei Tagen in der Woche angestellt. Überflüssig zu erwähnen, dass wir an keiner dieser beiden Tage vor Ort waren.

Übrigens, die mit Jutesäcke verhüllten Torhäuser von Ibrahim Mahama erinnern mich mitnichten an Christo. Die Wirkung ist eine völlig andere. Für die Documenta 14 hat Mahama laut dem Tagesspiegel ein Schlüsselwerk geschaffen, das wohl in Erinnerung bleiben wird. Der Tagesspiegel vergleicht das Werk mit Walter de Marias „Vertikaler Erdkilometer“ oder die „1000 Eichen“ von Joseph Beuys. Jeder Besucher, der zur Wilhelmshöhe möchte, passiert die von Mahama mit Jutesäcken verhängten Torhäuser. Die um die Welt gereisten Jutesäcke nehmen Bezug auf internationalen Handel und Politik, Abhängigkeiten werden aufgezeigt. [1]

 

documenta 14 - Wartende vor der Neuen Galerie (c) Foto von M.Fanke
documenta 14 – Wartende vor der Neuen Galerie (c) Foto von M.Fanke

Vielleicht hätte ich mich vor dem Besuch mehr mit der documenta 14 beschäftigen müssen. Gerade habe ich mir das art magazine vom April 2017 online in der Bücherei ausgeliehen (http://voebb.onleihe.de). Dort lese ich: „Eine der Grundmetaphern, mit denen Adam Szymczyks Team im Vorfeld das Konzept der D14 umriss, war »Stille«. Als Innehalten, Verweigerung, als Ausdruck von Poesie, aber auch als Pause zur Strukturierung von Musik und Sprache ist sie ein subtiler Schlüssel zum Verständnis der Arbeiten und der Idee einer Widerständigkeit von Kunst.“ [2]

Stille kann meiner Auffassung nach bei dieser großen Anzahl von Besuchern der documenta 14 nicht dargestellt (hergestellt?) werden. Einzig in der Orangerie habe ich trotz der vielen Menschen ein wenig davon gespürt.

Ich beschäftige mich gerade mit der Visualisierung von Dichtung in den Bildern Poussins. War es für Zeitgenossen Poussins genauso schwer den bildnerischen Eindruck in Worte zu fassen wie es uns heute mit den Werken der documenta fällt?

Die documenta ist nicht spurlos an mir vorbei gegangen, ich merke es beim Schreiben dieses Berichts, den ich so ausführlich nicht geplant hatte.

 

 

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[1] Kuhn, Nicola, Die Politik des Jutesacks, in: Tagesspiegel, Berlin, 24.7.17,
http://www.tagesspiegel.de/kultur/documenta-kuenstler-ibrahim-mahama-die-politik-des-jutesacks/20096642.html

[2] Brigles, Till, Glossar, in: art magazin,  Hamburg 2017, S. 54.

28 comments

  1. Danke für deinen Bericht, liebe Susanne. Ich glaube nicht, dass ich mir die Dokumente anschaue; ggf. wenn es kühler wird. Aber meist bin ich auch immer nur auf Durchreise, hab es meist eilig.
    Und in einigen Kunstmagazinen ist sie nicht gut bei weggekommen.

  2. Ich bin nie in Kassel gewesen, auch nicht auf die Dokumenta. Aber wenn ich deiner nachtricht lese weiss ich ganz sicher das ich bald mal nach Deutschland abreise um es mir selbst an zu schauen. 🙂

  3. Liebe Susanne, ich habe deinen Bericht jetzt nur am iPhone gelesen, bin beeindruckt und freue mich aufs gründlichere Studium morgen! Dass du Romualds Film in all dem Tohuvabovu gefunden und genossen hast, freut mich besonders. Er ist der Sohn einer mir bekannten sehr engagierten Elsässerin, die in Athen lebt. Durch sie wurde ich auf seine Filme aufmerksam.

    1. Liebe Gerda, die Welt ist klein und es ist tatsächlich auch mein favorisiertes Werk von den Gesehenen der documenta. Ich habe mich während es Films und dem Gesang vom Streß außerhalb des Raums erholen können.

  4. Eben sah ich die Fotos durch. Das Werk von Cecilia Vicuna sieht ja ziemlich traurig aus, wie weggehängt in dem großen Saal. Auch im EMST in Athen hing es in einem sehr hohen Saal, aber es dominierte den Raum, konkurrierte nur mit ein paar Naturmasken eines laotischen (?) Künstlers.
    Eure Fotos bringen mir Kassel wieder mal nahe, besonders die Ausblicke von Wilhelmshöhe, der steinerne Löwe. ….

    1. Ich dachte mir schon, Gerda, dass du traurig über die Hängung des Werks von Cecilia Vicuna bist. Ich fand die Hängung auch nicht brilliant. Zu sehr auf einen Haufen, das einzelne ist nicht sichtbar. So ging es mir auch bei dem Wandbehang, da fand ich besonders Schade, dass es nicht möglich war, ihn in Ruhe zu betrachten.

      1. Guten Morgen, Susanne! Auch in Athen war die Hängung vieler Werke unverständlich bis schäbig, und es fehlten Erläuterungen, die Namen der Künstler waren kaum zu finden… Vieles las ich am Computer nach. Wie auch du schriebst, war es mit der Sinnessfreude nicht weit her. Aber man hatte viel Platz zum Schauen, denn es gab nur wenige Besucher,
        Ich wollte dir noch gratulieren zu deinen Panorama-Fotos.Besonders die Gegenüberstellung von Friderizianum und Bücher-Parthenon ist eindrucksvoll, der Kulturabstand bei gleichzeitiger Zitierung von Formelementen ist handgreiflich, zumal wenn man geistig das Original in Athen hinzufügt.
        Den Wandbehang gab es hier nicht, aber Arbeiten mit Nadel und Faden statt mit Farben waren auch hier stark vertreten. (Über Maria Lai berichtete ich).
        Und nach all der Kunscht das freudige Erleben der Natur, die Blütenwiese leicht vom Wind angerührt..
        Ich freu mich (und habe e auch nicht anders erwartet), dass dir trotz Überfülle und Mängeln die documenta 14 starke Eindrücke hinterlassen hat. Mir ging es hier nicht anders. LG Gerda

        1. Liebe Gerda,
          ich habe gestern lange mit meiner Freundin Anna von AugenZeugeKunst gesprochen, sie war eine Woche in Athen und drei Tage in Kassel zur documenta. Athen hat in ihrer Bewertung ganz klar gewonnen. Sie bemerkte auch, dass die Aufsichtspersonen der Kunstwerke viel zu berichten wussten, während in Kassel keiner des Personals etwas zu erzählen hatte.
          Danke für die Gratulation zum Foto, es wird wirklich Zeit, dass ich mal nach Athen komme ;-), um auf der Akropolis zu stehen. Ich fand diese Gegenüberstellung auch sehr eindrucksvoll und freue mich, dass ich sie fotografisch festhalten konnte. Ich habe dir heute Morgen schon eine Mail gesendet….
          Ich fand es gut, dass textile Arbeiten den Weg in die documenta fanden, es ist noch nicht lange her, da wurden sie noch nicht einmal als Kunst akzeptiert.
          Einen schönen Tag von Susanne

          1. Schade, dass ich Anna nicht gekannt und getroffen habe ! Die Aufsichtspersonen in Athen waren wirklich wunderbar, es war der begleitende „Chor“ bestehend aus Kunststudenten, die froh waren, mal ein Taschengeld zu verdienen. Sie waren zuwendend, hilfreich, engagiert und beschlagen – ganz anders als das übiche museale Aufsichtspersonal, das allerdings, angesprochen, manchmal auch recht gut Auskunft gibt, froh, dem Stumpfsinn des Aufpassens zu entkommen (ich traf so eine beim Hermes von Praxiteles in Olympia und behalte sie in freundlcher Erinnerung). .
            Was deinen Athen-Besuch angeht: ich hoffe sehr, dass es mal klappt !

            1. Ich kenne es auch aus Berlin, dass das Aufsichtspersonal froh ist, wenn man mal eine Frage stellt. Meistens entstehen daraus angeregte Unterhaltungen.
              Ansonsten hast du es ja sicher schon gelesen 🙂 🙂 🙂 Athen, wir kommen!

  5. Danke für dem ausführlichen und differenzierten Bericht. Nun ist es meine Aufgabe, den Weg aus der Ratlosigkeit zu suchen. Vielleicht versuche ich es montags?

    1. Gerne, Johannes, ich denke, Montags sind noch die Wochenendverlängerer vor Ort, vielleicht ist Dienstag – Donnerstag die beste Zeit? Die Menschenmengen sind immer so schwer einzuschätzen!

  6. Ich verabscheue Konzeptkunst, noch dazu wenn sie erzieherisch tätig sein will. Wenn ich deinen Bericht so lese, scheint die Documenta genau diese Art von Kunst zu zelebrieren. Ich bin stark am Zweifeln, ob ich mir das antun soll. Danke für den interessanten Bericht.

    1. Gerne, Marina, ich denke, die Konzeptkunst beherrscht im Allgemeinen die Kunstszene, wobei ich denke, das auf dem Markt eher das klassische Tafelbild favorisiert wird.

  7. Einerseits wirkt das alles sehr imposant (auch die große Ansammlung von Zuschauern berücksichtigend). Aber ich hätte vermutlich die gleichen Probleme wie du, mich einem annähernden Genuss an die Werke hingeben zu können, was bedeuten würde, Ellenbogen- und Augenfreiheit besitzen zu können. Meine Schwiegertochter möchte unbedingt zur Documenta. Mal schauen, wie sie reagiert, wenn ich ihr deinen Beitrag zeige.

    Liebe Grüße nach Berlin

    Achim

    1. Ich bin gespannt, wie deiner Schwiegertochter die documenta gefällt, Achim. Ich denke, sie lässt sich nicht von ihrem Vorhaben durch meinen Bericht abbringen?
      Ich mag einfach keine Menschenansammlungen, ich fühle mich unwohl und da ich keinen Gleichgewichtssinn besitze und alles mit den Augen ausgleiche, kann ich mich in wogenden Menschenmengen auch sehr schwer bewegen.
      Liebe Grüße nach Freiburg
      Susanne

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