Das ständige Zeichnen – Susanne Haun

 

Mein Kalender 1. Woche (c) Zeichnung von Susanne Haun
Mein Kalender 1. Woche 31. Dezember 2012 – 5. Januar 2013 (c) Zeichnung von Susanne Haun

 

In den Kommentaren zu meinen letzten Selbstportraits im Kalender 2019 stellte Gerhard eine Frage, der ich mit meiner Antwort gerne einen Beitrag widmen möchte.

Ich möchte darauf aufmerksam machen, dass die obige Zeichnung aus mein Selbstportraitagebuch aus dem Jahr 2013 stammt 🙂

Gerhard (siehe hier):
Du zeichnest Dich aus dem Kopf?!
Mir fällt jetzt etwas ein, daß mit „Üben“ generell zu tun hat:
Ich weiß vom Schach, der Leichtathletik, auch vom Zeichnen, daß stetes Üben nicht unbedingt „voranbringt“.
Harald Schmid, der 400m-Hürdenläufer von einst trainierte nur eine Stunde am Tag scharf, weitere Koordinationsübungen hielt er für abträglich. Im Schach ist auch sehr gezieltes Training besser…und danach Schluss.
Beim Aktzeichnen hat stetes Üben über die Monate und Jahre nicht unbedingt zu Fortschritt geführt. Meine Zeichnungen etwa von 2005 waren scheinbar besser als die von 2010 , so schien es.
Was kannst Du dazu sagen?
Meine Antwort dazu:
Lieber Gerhard,
ich habe meinen Beitrag nochmals gelesen und meine Vermutung hat sich bestätigt. Ich verwende das Wort „üben“ nicht. Ich übe nicht, Gerhard, ich zeichne. Und natürlich ist es notwendig, jeden Tag zu zeichnen. So wie der Geiger jeden Tag spielt. Es ist ein ewiges Erfahrungen sammeln. Ich glaube auch nciht, dass Harald Schmid übte, er trainierte und entschied selber, wie lange er trainieren muss, um seine Leistung zu halten. Üben bedeutet für mich, zu versuchen, eine Fähigkeit zu erlangen, die ich noch nicht besitze. Beim Schach würde ich auch das Nachspielen von Partien nicht als üben bezeichnen, sondern logische Schlussfolgerungen herstellen und merken. Üben ist es, wenn ich die einzelnen Züge der Figuren lernen muss, also so wie der Turm geht gerade nach vorne, seitwärts und rückwärts.
Tägliches Zeichnen ist meiner Ansicht nach notwendig, damit deine vorgestellten Linien aus dem Kopf in die Hand fließen. Das Motiv ist zweitrangig. Wenn du jeden Tag Akt zeichnest wird es dir leichter fallen, Körper zu erfassen, aber der Schritt vom Portrait zum Körper, zur Landschaft zur Blume ist dann nur ein kleiner Schritt.
Es kommt darauf an, dass du genau hinschaust. Beim aus der Erinnerung zeichnen, rufst du Erfahrungen ab, die du schon gemacht hast. Du hast dir den menschlichen Körper viel angeschaut und kannst diese Erfahrung abrufen. Aber es ist schwer, den menschlichen Körper zuerst aus der Anschauung, dem Sehen, zu zeichnen. Viele meiner Schülerinnen / Schüler schauen nicht genau hin. Sie zeichnen ihre Vorstellung vom Auge, ohne eine konkrete Vorstellung der Linien des Auges zu besitzen und so wird das Auge oft schief.
Mein Workshops beginnen mit dem Hinweis, dass das Sehen die Grundlage ein jedes Werks ist.Ich hoffe, ich konnte deine Frage beantworten, einen schönen Freitag von Susanne
P.S. Das Selbstportraittagebuch wird für das Jahr 2019 eines meiner Kernwerke sein.

Ich freue mich, wenn sich die eine oder der andere entscheidet, sich in den Kommentaren an unserer Diskussion zu beteiligen.

27 comments

  1. Eine interessante Unterscheidung: ich übe nicht, ich zeichne.

    Worin liegt der Unterschied? Zeichnen ist nicht üben, wenn ich nicht von einem weniger perfekten zu einem perfekteren Ergebnis kommen will, sondern im Hier-und-Jetzt-Austausch zwischen meinem Sehen, meinen Absichten und meinem Tun mich auslebe. Das tust du, wenn du dich selbst portraitierst. Du willst dich nicht jedesmal „besser“ zeichnen, sondern jedesmal von Neuem. Genau das tut auch ein Kind, das malt. Es übt nicht, es malt.

    Aber wenn es um die Schulung der Feinmotorik, um die Beherrschung von Techniken, um die Perfektionierung einer realistische Zeichnung geht – dann nennt man es wohl „üben“. Ein Pianist muss üben und nicht nur spielen. Er muss eine Stelle, die nicht gut gelingt, immer und immer wieder spielen, bis sie so klingt, wie er möchte, dass sie klingt. Jede weitere Darbietung desselben Stücks auf dem durch Üben erreichten Niveau ist dann „spielen“.
    Um das Niveau zu halten, ist eine ständige Wiederholung aller Fertigkeiten nötig – zB Tonleitern hoch und runter….. Und hier hakt dann auch Gerhards Argument ein: wer stundenlang Tonleitern übt, wird dadurch kein guter Pianist, und wer immer und immer wieder Koordinationsübungen macht, wird dadurch kein guter Hürdenläufer. Und wer jahrelang Akt zeichnet, wird dadurch kein guter Zeichner. Sie alle bleiben im Vorfeld stecken.

    Mir fällt dazu eine Anekdote ein, die Emil Nolde erzählt: Bei seiner Ausbildung hatte er eines Tages die Aufgabe, ein Stück Pelz zu malen – darein wurde ein wirkliches Stück Pelz geklebt und der Betrachter sollte nicht erkennen, welches der gemalte und welches der eingeklebte Pelz war. Am Ende sagte er: nun habe ich auch dieses Kunststück geschafft – aber wie werde ich ein Maler?

    1. Liebe Gerda,
      du schreibst es sehr gut.
      Das Hier-und-Jetzt austauschen, mein Absicht und mein Tun nicht in Worten sondern in Zeichen festhaltend.
      Ich zeichne mich jedesmal von Neuem.
      Beim Berufsverband bildender Künstler*innen hat man und im Seminar Vorlass / Nachlass gefragt, ab welches Jahr wir den Beginn unseres Werkes sehen. Ich habe das Jahr 1999 dafür ausgewählt. In meinem Werkverzeichnis kommen also alle Arbeiten von 1999 an. Ich denke mal, alle anderen davor sind Übungen? Interessant, oder?
      Mein Vergleich mit dem Pianisten hinkt also! Danke für den Hinweis Gerda! Ich habe Gerhard anders verstanden, eigentlich gibt es ja das Sprichwort „Übung macht den Meister“ aber es scheint, das Sprichwort ist in Zusammenhang mit unserer Diskussion nicht korrekt verwendet.
      Noldes Anekdote gefällt mir auch. Es gibt einen unterschied zwischen „dem Handwerk“ beherrschen und „Künstler*in sein“.
      Und schon sind wir wieder bei der immerwährenden Diskussion um die Frage, was einen Künstler*in ausmacht. 😉
      Liebe Grüße von Susanne

  2. Ein nicht leicht zu greifendes Thema, denke ich.
    Kann man eigentlich unterschiedliche Künste so ohne weiteres vergleichen?? Ich tat es ja in meinem Ursprungskommentar. Ganz sicher bin ich mir nicht.

    Im Schach muß man memorieren, als Spitzenspieler. Man muß bestimmte Endspiele üben, damit sie allzeit griffbereit sind. Man muß seine Varianten immer und immer wiederholen. Manche Stellungen sind so komplex, da hilft Intuition nicht unbedingt weiter, sondern konkrete Erinnerung.
    In der Leichtathletik wie bestimmt auch im Zeichnen kann es sein, daß statt 1 Stunde Widmen deren 5 „zuviel“ sein können. Aber auch da gibt es ja die Auffassung, daß Müdigkeit kein Hinderungsgrund ist, Gutes zu vollbringen.
    In der Keramik habe ich ja z.b. oft unter grösserer Müdigkeit gearbeitet – man wird irgendwie enthemmter vielleicht, wagt mehr, auch wenn die Technik und die Vorsicht/Umsicht leiden mag. Geben und Nehmen.

    Gerdas Anekdote finde ich sehr schön. Danke dafür!

    Ich verstehe auch Susanne so, daß sie ihren Arm, ihre Zeichnungshand allzeit dem Zeichnen anheim gibt, um mit dieser Tätigkeit zu verwachsen. Die Basis ist ja längst gelegt, jetzt soll es nur noch fliessen und zwar täglich.
    Ohne eine solche solide Basis aber ist ewiges Tun nicht unbedingt vorwärtsbringend. Wer sie aber hat,diese solide Grundlage, der kann seinen Arm „einölen“ und ihn „machen lassen“.
    Soweit erstmal.

    1. Eine schöne Formulierung, Gerhard, den Arm einölen. Ich denke auch, dass eine Grundlage vorhanden sein sollte. Die kann bei der heutigen Kunst auch auf philosophisch- sozialer Basis bestehen. Ich denke an die Konzeptkunst oder Landart.

      1. Wie schrieb Thomas Bauer sinngemäss: „Manchmal sieht der Künstler sein Werk zum ersten Mal bei der Ausstellung.“ Das ist ja dann der Fall, wenn er die Idee dafür hatte und sein Team führt es für ihn aus.

  3. Üben musste ich bei meinem Großvater als ich 8 Jahre alt war, um mein räumliches Vorstellungsvermögen zu verbessern, zeitgleich mit bestimmten Techniken. Dann habe ich etwa 14 Jahre lang dauernd gezeichnet und es danach 25 Jahre nicht mehr getan. Ich dachte, ich könnte nicht mehr zeichnen, und das erste Bild war wackelig, doch danach habe ich noch schneller gezeichnet als je zuvor, aber ob das bei jedem so ist, weiß ich natürlich nicht.

    1. Ein wenig vergleichst du die Kunst mit Fahrrad fahren, Arno. Warum nicht? Es kann gut sein. Ich kann es nicht sagen, wie das ist. Ich zeichne mein Leben lang und seit 1999 täglich.

  4. Der Schwerpunkt der Diskussion zum Thema „üben“ sollte verlagert werden. Es geht meiner Meinung nach zentral um das Thema Lernen und um die Frage wie wir lernen, und welche Rolle dabei das Üben spielt.
    Ich will es verkürzt versuchen: Lernen geschieht im Netz, und die erlernten Inhalte oder Fähigkeiten oder Kenntnisse werden nur dann erfolgreich zur Anwendung gebracht werden können, wenn sie mit unserem Vorwissen verankert worden sind. Und wir lernen anwendungsorientiert und dann, wenn sich uns die Sinnhaftigkeit erschließt. Von daher ist das Üben der Versuch durch stete Wiederholung eine solche Verankerung mit dem Vorwissen oder den Abläufen zu vollziehen. Damit üben in der Form aber erfolgreich sein kann, muss es unter bestimmten Bedingungen geschehen: der Übungszeitpunkt ist wichtig, die Dauer, die atmosphärischen Bedingungen, der Raum, das Material, die Sinnhaftigkeit und und und. Eine sehr individuelle Angelegenheit halt. Die Begrenztheit des Üben und Lernens durch die vorhandene Begabung oder Intelligenz ist ebenfalls zu berücksichtigen.
    Oder anders: Tägliches üben des Zeichnens führt – so glaube ich – nicht automatisch zu einer besseren Zeichenfertigkeit. Die Linien fließen eventuell auch bei großem Übungsaufwand nicht unbedingt in die Hand. Und manchmal eben dann doch – wenn die Lernbedingungen stimmen.
    Liebe Grüße Juergen

    1. Lieber Jürgen,
      die Sinnhaftigkeit finde ich ausgesprochen wichtig. Habe ich dich richtig verstanden, dass nur, wenn ich etwas wirklich möchte, ich es auch lernen kann? In drei Wochen beginnt mein Lateinintensivkurs und ich freue mich schon sehr darauf. Hätte mir aber jemand vor 10 Jahren erzählt, ich solle Latein lernen, hätte ich einen Widerwillen dagegen gehabt.
      Liebe Grüße von Susanne

      1. Ja, denn was u.a. nicht intrinsisch motiviert ist, wird zwar aufgenommen, aber leider nicht im Gehirn tiefgehend verankert. Aber die Motivation ist ja nur ein Faktor in diesem komplizierten „Spiel des Lernens.“
        Alles Gute und ich wünsche Dir viel Erfolg beim Intensivkurs.

  5. Ein spannendes Thema, ich finde deine Antworten auf die gestellten Fragen sehr interessant, liebe Susanne, und auch die bisherigen Kommentare zeigen, wie vielseitig das Thema betrachtet werden kann.
    Das mit dem „Sehen lernen“ kann ich nur bekräftigen. Ich habe so viele Symbole für Dinge in meinem Kopf, dass ich oft versucht war, nicht genau zu schauen, sondern automatisch die Symbole abzurufen. Inzwischen kann ich immer besser wirklich hinsehen und die Bilder in Flächen und Linien zerlegen, um sie dann abzubilden. Wie genau das passiert ist, weiß ich nicht, es war auf einmal da. Aber ganz sicher hat vieles Zeichnen dabei geholfen…

    1. Das denke ich auch, liebe Elke, das viele Zeichnen hilft schon, es schult das Gehirn. Aber es ist sicher auch wie Jürgen schreibt das Wollen und der Austausch!
      Ich finde auch, dass die vielen Kommentare einen interessanten Austausch beinhalten.

    1. Danke, liebe Nina, meinst du, dass zu dieser Diskussion auch meine kunsthistorischen Fähigkeiten von Nöten sind? Mein Wissen über das Disegno und über die Entwicklung der Zeichnung fließt bestimmt mit ein.
      Einen schönen Wochenbeginn von Susanne

  6. Hallo,

    liebe Susanne, das ist ein wirklich spannendes Thema. Vielen Dank für diesen tollen Beitrag!

    Zum Thema gibt einen guten Blogbeitrag auf healthyhabits.de

    Ich kann das dort genannte Buch „TOP“ von K. Anderd Ericsson sehr empfehlen.

    Viele Grüße

    Moony

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