Emanzipation der Frau
Leni im Spiegel
1974 schrieb Böll den Roman Guppenbild mit Dame. Böll beschreibt das Leben der Leni Pfeiffer, einer Frau des Jahrgangs 1922. Ich habe mich mit einigen Szenen des 1. Kapitels beschäftigt und war von der Sicht Bölls auf eine Frau erstaunt.
„Da Leni im Augenblick ohne ständigen männlichen Schutz oder Rat in der Welt steht, unterliegt sie, was ihre Haartracht betrifft, einer Dauertäuschung; an der ist ihr Spiegel schlult, ein alter Spiegel aus dem Jahr 1894, der zu Lenis Unglück zwei Weltkriege überdauert hat.“
Heinrich Böll, Gruppenbild mit Dame, Köln 1971, Seite 8.
Heute braucht eine Frau keinen ständigen männlichen Schutz oder Rat, denn Frau kann gut selbst in der Welt stehen.
Das Lebenskonzept einer Frau ist heute selbstbestimmt ob mit Partner oder Partnerin oder alleine, Sie entscheidet über ihr leben.
Deshalb kam mir der Satz von Böll doch sehr veraltet vor. Ich bin in die Zeit zurückgereist: Noch bis 1977 durfte eine Frau in Westdeutschland nur dann berufstätig sein, wenn das „mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar“ war. Ist das nicht grausig? Wer legte fest, was diese Pflichten waren und ob sie vereinbar waren? Schon (!) ab 1958 durten Frauen ohne Einwilligung ihres Mannes ein Konto eröffnen.
Ich habe den Eindruck, dass sich 1974 erst langsam das neue Weltbild der Frau durchsetzte, hätte jedoch gedacht, dass Böll fortschrittlicher im Denken war.
Vielleicht erwarte ich jedoch zu viel. Erziehung und zeitgenössische Gesellschaft sind schwer zu durchbrechen.
Leni im Spiegel erschien mir nichtsdestotrotz als reizvolles Motiv.