Können wir zeitgenössische Kunst fassen? – Bericht von Susanne Haun

Klausbernd Vollmar (hier ein Link zu seinem gemeinsamen Blog mit Dina) und ich diskutieren immer noch über das Wesen des Ichs und der Kunst (siehe Beitrag hier).

Wie arbeiten wir innerhalb unserer Kunst? Gibt es unterschiede zwischen der Wort- und der Bildkunst.

Was ist heute überhaupt Bildkunst? Sollte es eine neue Studienrichtung – die Bildwissenschaften geben? Und zählen zu diesen Bildwissenschaften auch alle Facebook Fotos?

Ich möchte über die Bildkunst heraus wachsen. Noch bin ich davon entfernt – ich bin Zeichnerin. Und das will ich auch bleiben. Aber ich möchte die Zeichnung mit dem Wissen, was ich beim Studium erwerbe anreichern. Wie kann ich das machen? Es ist eine gute Frage.

 

Vor zwei Jahren experimentierte ich mit Animationen. Hier eines der Ergebnisse:

 

 

 

Mich inspiriert das Seminar „Zeitgenössische Kunst“ sehr. Es gehört zu meinem Modul „Theorie und Methode“ was ich mit diesem Seminar abschliessen werde. Ich finde es dort sehr passend. Bei jedem Termin wird eine neue zeitgenössische Kunstrichtung vorgestellt und wir diskutieren darüber. Oft fragen wir uns „Ist das Kunst?“. Dabei ist es wichtig, dass wir uns auf sie in allen neuen Formen einlassen.

Der Sprung, von den ursprünglichen Denkmustern zu den neuen ist sehr schwer. Auch ich habe damit meine Probleme und aus den Gesprächen mit meinen Kommilitoninnen in diesem Seminar weiss ich, dass auch die jungen Menschen damit Schwierigkeiten haben. Aber diese Schwierigkeiten gab es schon immer, selbst die Impressionisten, die uns heute so leicht verständlich scheinen, hatten Probleme sich durchzusetzen und verstanden zu werden.

Klausbernd stellte die Theorie auf, dass Wortkunst anders entsteht als Bildkunst. Ich denke, der Entstehungsprozeß ist abhängig von der Art des Denkens der Künstler. In der Zeitgenössischen Kunst wird anders gedacht. Alte Wege werden verlassen. Als Beispiel möchte ich euch die Spekulation in der Kunst vorstellen. Nicht die wirtschaftliche Spekulation sondern die Spekulation in der Philosophie nach Kant. Und da beginnt das Dilemma. Wir können die Kunst nicht mehr mit den Augen alleine erfassen, der sinnliche Eindruck muss durch theoretisches Wissen komplettiert werden.

„Spekulation ist eine philosophische Denkweise zu Erkenntnissen zu gelangen, indem man über die herkömmliche empirische oder praktische Erfahrung hinausgeht und sich auf das Wesen der Dinge und ihre ersten Prinzipien richtet.“ so steht es im Wikipedia und es ist natürlich viel zu einfach gesagt. Aber es trifft den Kern.

Als Beispiel könnte ihr euch die Ausstellungsseite Fridericianums (siehe hier) Arbeiten zu diesem Thema anschauen. Es ist sinnvoll, euch einfach mal ein paar der Künstler anzuschauen, indem ihr den Links an der Seite folgt. Was haltet ihr davon?

Sehr interessant sind die Arbeiten des Künstlers Ryan Trecartin. Ich war entsetzt als ich seine Videoarbeiten (siehe hier) sah und doch muss ich die ganze Zeit seither darüber nachdenken. Hier seht ihr einiges bei Vimeo. Es ist wichtig auch den Ton zu hören. Unser Dozent erzählte, dass bei der Venedig Bienale jeweils ein Film auf eine Raumseite projeziert wurde und dazu auf dem Boden die Requisiten des Films lagen. Das muss ein unglaublicher Sinneseindruck gewesen sein.

Auch hier ist die Sprache noch die Bildwelt.
Die zeitgenössische Kunst sprengt jegliche Regeln. Und genau das ist es doch auch, was zeitgenössische Kunst ausmacht. Sie ist voller philosphischer Ansätze und von der Philosophie kaum zu trennen.

Deshalb Klausbernd glaube ich, dass der Unterschied zwischen Bild- und Wortkunst nicht im sinnlichen Erlebnis oder in der Theorie der Art des Denkens liegt.

 

Wer Interesse hat, kann nun hier Klausbernd und meinen Dialog lesen. Ich würde mich freuen, eure Meinung zu lesen:

Klausbernd said, on 14. Juni 2014 at 15:22

Liebe Susanne,
jede Malerin, Grafikerin und Illustratorin steht in der Geschichte der Produktion von Bildern. Es hilft der Künstlerin sehr, denke ich, ihren Standort in dieser Geschichte reflektieren zu können. Insofern gehört dein Kunstgeschts- und Philosophiestudium zur Weiterbildung in deiner Kunst – eine aufwändige in der Tat, aber eine notwendige zur Weiterentwicklung, oder?
Ganz liebe Grüße von der sonnigen Küste Norfolks
Klausbernd
Ich habe auch u.a. Philosophie und Literaturgeschichte studiert, was dem Schreiben meiner Romane sehr geholfen hat. Aber da stellten wir ja schon die Frage auf meinem Blog, ob grundsätzlich das Schreiben nicht intellektueller ist als das Malen …
Antwort

Susanne Haun said, on 14. Juni 2014 at 19:03

Liebe KB,
eine sehr befriedigende, wenn auch aufwendige Art der Weiterbildung. Ich beginne, die Welt anders zu sehen, es macht mir Freude. Es ist sehr viel Arbeit und meine sozialen Kontakte leiden, auch meine Kunden. Aber irgendwoher muß ja die zusätzliche Zeit herkommen und der Vorlesungsplan ist jedesmal so interessant, dass ich mich noch sehr zusammennehmen muss, damit ich nicht noch mehr Seminare und Vorlesungen besuche.  Wie schön, KB, der Wettstreit der Künste um 1500 herum wird bei dir im Blog auf unsere Zeit übertragen: Literatur gegen Malerei: die Paragone: Zu den Künstlern, die sich in Form von Traktaten am Paragone-Diskurs beteiligten, gehörten Leon Battista Alberti, Albrecht Dürer und Leonardo da Vinci, die alle die Malerei als die edelste der Künste favorisierte. Meine Suppe ist fertig, ich wünsche dir einen schönen Abend, lg Susanne
Klausbernd said, on 16. Juni 2014 at 12:06

Liebe Susanne,
mir ging es nicht in meiner Aussage über die EDELSTE der Künste, was ja ein Werturteil ist, sondern mir ging es um die Qualität der unterschiedlichen Künste, also in dem Sinne, dass Schreiben mehr zum Intellektuellen hin tendiert und Malen/Zeichnen mehr zum Sinnlichen. Das ist für mich eine Qualitäts-, aber Wertaussage – und überhaupt, ist das ein Gefühl von mir, eine subjektive Aussage ohne Bewertung.
Habe eine schöne Woche
liebe Grüße von
Klausbernd und Dina und unsere geliebten Buchfeen Siri und Selma
Susanne Haun said, on 18. Juni 2014 at 07:51

Oh, KB, das denke ich ist ein Urteil, dass die zeitgenössischen Künstler nicht gerne hören. Die Epoche der Moderne ist beendet. Was beginnt nun? Im Seminar “Zeitgenössische Kunst” untersuchen wir gerade die Strömungen der Gegenwartskunst. Sie ist intellektueller denn je. Kaum ein Werk kann nur noch durch den sinnlichen Eindruck begriffen werden. Natürlich entfernt sich die zeitgenössische Kunst zum Teil auch vom Malen und Zeichnen und baut doch wiederum darauf auf.
Ich werde im Laufe der Woche ein paar Beispiele zur Zeitgenössischen Kunst auf meinem Blog vorstellen. Der philosophische Aspekt der neuen Kunst ist dabei unübersehbar. Ob wir diese Kunst sofort begreifen oder für uns annehmen, das ist eine andere Sache.
Ich würde zu den Beispielen unseren Dialog gerne als Dialog mit im Artikel schreiben. Denn er steht auch zum Teil für meinen inneren Dialog, den ich beim Anblick der zeitgenössischen Kunst führe.
Einen schönen Tag dir und auch Dina und den Buchfeen von Susanne
Klausbernd said, on 18. Juni 2014 at 11:19

Liebe Susanne,
ich bin mir sehr unsicher, über den Unterschied zwischen der Wortkunst und der Bildkunst. Ich war mit einer Zeichnerin, die Expeditionszeichnerin ist, das letzte Mal in der Arktis. Dabei fiel mir auf, dass wir oftmals ziemlich unterschiedlich wahrnahmen. Sicherlich viel zu vereinfacht ausgedrückt, hatte ich das Gefühl, sie denkt mit dem Stift, indem sie zeichnet und entwickelt ihre “Endzeichnung” aus gezeichneten Entwürfen. Das ist ähnlich, wie ich schreibe: ich schreibe einen Entwurf, den ich immer wieder überarbeite, bis der “Endtext” steht. Bei mir, so hatte ich das Gefühl, ist die Entwicklung bis zum fertigen Text durch theoretische Überlegungen geprägt, bei ihr war die Entwicklung mehr sinnlich, wie ich es wahrnahm. Sie zeichnete, verwarf, nachdem sie den Entwurf von Farbe und Linienführung betrachtete und dann wurde neu gezeichnet. Ich will es mal so ausdrücken: Sie SAH, was zu veränderändern war (und war nicht so an Reflektion interessiert), ich DENKE darüber nach, was an meinen Texten zu verändern ist.
Von dieser Erfahrung her sind meine Aussagen über den Unterschied zwischen Schreiben und bildschaffender Kunst geprägt.
Ja, du kannst gern unseren Dialog in deinem Text aufnehmen. Siri & Selma 😉 schrieben ja über Landschaftsfotografie in einem unserer letzten Blogs. Da geht es über Reflexion beim Abbilden und Otto von Münchow drückte es auch nochmal in seinem Kommentar zu diesem Blog aus, dass jeder, der ein Bild schafft, in der Historie der Bildproduktion steht. Well, in diesem Blog vertreten Siri & Selma die andere Seite der Münze: Es geht um die Reflexion in der bildschaffenden Kunst.
Ich finde das Thema so interessant, da es mir schwer fällt, es richtig zu verstehen. Ich sehe aus persönlicher Erfahrung einen Unterschied zwischen Wort- und Bildkunst, auf der anderen Seite kann ich ihn nicht fassen.
Ganz liebe Grüße aus Cley, wo ich gerade ganz down-to.earth meinen Rasenmäher reparierte
Klausbernd
liebe Grüße auch von Dina, Siri & Selma
Susanne Haun said, on 19. Juni 2014 at 14:28

Lieber KB,
ich denke, dass in der Wort- sowie in der Bildkunst jeder seine eigene Art der Arbeit finden muss. Ich benötige für meine Arbeiten sehr viele theroretische Überlegungen, ich zeichne selten “nur” aus der Emotion hinaus sondern informiere mich umfassend über das Thema, zu dem ich zeichne. Mein gewonnenes Wissen fliess dann direkt und indirekt in die Zeichnung ein. Trotzdem sind die Zeichnungen sinnlich erfasst, denn das recherchierte Wissen sowie mein handwerkliches Können führen mich zur spontanen kreativen Handlung.
Ich möchte diesen Dialog von der “bildschaffenden” Kunst lösen, denn die “bildende” Kunst ist soviel mehr in den letzten 100 Jahren geworden.
Danke, dass ich unseren Dialog für meinen Beitrag nutzen kann. Ich werde ihn aber erst morgen schreiben, denn dafür brauche ich Ruhe und Zeit, um meine Gedanken geordnet in den Rechner zu schreiben. Beides habe ich heute nach der Uni nicht mehr.
Ich wünsche euch vieren in Cley einen schönen ABend, LG Susanne
Klausbernd said, on 19. Juni 2014 at 18:51

Liebe Susanne,
wir haben heute den ganzen Tag einen Schuppen fürs Kaminholz gebaut und zwei kleine Schuppen restauriert. Nachher, du glaubst es kaum, möchte Dina mit mir in den Pub gehen, da England heute spielt und dort public viewing ist. Ich geb’s zu, ich habe noch nie so etwas elebt. Selma und Dina halten das für eine Bildungslücke. Ich bin gespannt und freu mich auf alle Fälle aufs Bier. Von Fußball haben Siri und ich keine Ahnung, oh dear …
Ich bin darauf gespannt, was du schreiben wird. Ich habe fast keine Ahnung von Kunstgeschiche, meine Schwester ist die Spezialistin. Sie gibt mir stets Nachhilfe 😉
Auch dir einen schönen Abend.
Liebe Grüße aus dem hochsommerlichen Cley
Klausbernd
die anderen 3 lassen auch lieb grüßen

7 comments

  1. Danke für den interessanten Austausch, Susanne. Wortkunst versus Bildkunst…ich weiss es nicht…empfinde aber schon die Wortkunst ebenso sinnlich, wie auch die Bildkunst…es hängt halt auch vom Text ab ( für mich). Lyrik empfinde ich anders, als einen sachlichen Fachtext, aber ebenso gäbe es da ja auch bei der Bildkunst die Unterscheidung zwischen „Malerei/Zeichnung“ und einer- zum Beispiel- technischen Illustration. Du siehst, euer Dialog war anregend für mich 🙂

    1. Du hast recht, Vera, es ist abhängig vom Einzelfall, ich finde die Texte von Gertrude Stein zum Beispiel sehr sinnlich.
      Es kommt immer auf die Intention des Textes, der Kunst an.
      Ich freue mich, dass dich der Dialog interessiert und angeregt hat.
      Einen schönen Montag von Susanne

  2. Liebe Susanne!
    Habe eine Nacht drüber geschlafen, was ich da gelesen habe.
    Viele Worte, viele Worte.

    Und dann habe ich überlegt: Was ist bei mir denn nun hängen geblieben?

    1. ein Disput über die Frage ob literarisches und bildnerisches Arbeiten eine unterschiedliche Vorgehensweise und Arbeitsweise haben. Natürlich! Aber eben auch eine Gemeinsame. Und das Gesamte ist so eine richtig akademische Frage, bei der ich mich frage, worin der tatsächliche Erkenntnisgewinn besteht.
    2. Zeitgenössische Kunst ist intellektueller – im Sinne von philosophischer Durchdringung – geworden. Das finde ich auch, Stichwort Konzeptkunst, und das finde ich gut. Das rein Sinnliche fand ich immer schon toll, und arbeite so ja auch, aber eben nicht ausreichend. Ich habe immer gern den Begriff des Gehaltes für die intellektuelle Durchdringung eines Werkes benutzt. Darum bemühe ich mich. Und in diesem Zusammenhang hat mich Dein Beitrag wieder ein Stückchen weitergebracht.
    LG Juergen
    P.S. Bin wieder im Lande.

    1. Guten Morgen, Jürgen,

      du hast es perfekt zusammengefasst. Ich mag die intellektuelle Durchdringung der Werke ebenso. Erst dann ist es für mich vollständig – so wie unsere nicht immer einfach Ausseinandersetzung zum Thema double bind….

      Ich freue mich, dass der Beitrag dich zum denken gebracht hat und du auch ein Stückchen weiter gekommen bist.

      Einen schönen Montag Morgen wünscht dir Susanne

  3. auch ich finde die Debatte spannend und lausche gerade in mich hinein,da ich ja schreibe und Bilder konzipiere, manchmal Bilder und Worte miteinander verbinde. Mein Ansatz ist, dass alles mit allem verbunden ist, so kann mich einmal die sinnliche Wahrnehmung zu weiterführenden Gedanken tragen, ein anderes Mal ist es mein Denken, dass ins Bild fliesst und zeigt nicht gerade die zeitgenössische Kunst, in der ich allerdings keine Spezialistin bin, beides?
    Und wer sagt denn,wenn die Zeichnerin einen Entwurf verwirft und neu beginnt, dass hinter ihrer sinnlicheen Wahrnehmung nicht auch Theorie steht und wer sagt, wenn ich schreibe, dass dahinter nicht viele sinnliche Erfahrungen stehen?

    danke für die gedankliche Anregung, die nicht aufhört, auch wenn ich hier aufhöre …
    herzlichst Ulli

    1. Guten Morgen, Ulli,
      ich denke auch, dass in jedes Bild, in jedem Text das gesamte eigene Wissen einfliesst, auch wenn es nicht immer offensichtlich wird.
      Spezialistin für Zeitgenössische Kunst zu werden, erfordert viel intellektuelle Arbeit … ich bin erstaunt, wie schwierig es doch mitunter ist.
      Einen schönen Tag wünscht dir Susanne

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