Was ist Genieästhetik? – Susanne Haun

Schon im April hat das neue Semester begonnen und ich besuche seither das Seminar “Kunst und Skandal”. Es ist ein Seminar, was an der udk stattfindet und zur Hälfte aus Studierende der Kunst und zur anderen Hälfte aus Studierende der Kunsthistorik belegt wurde. Ich sehr interessante Mischung.

Die vierte Sitzung hat die Die Skandalförmigkeit der Kunst als Thema und wir bereiten uns mit dem Text “Die Erfindung der Kreativität” von Andreas Reckwitz auf die Stunde vor. Ein nicht einfach zu lesender aber dafür sehr interessanter Text.

Ich verstehe Reckwitz so, dass das Publikum bestimmt, welche Werke originell und relevant sind. Dabei tritt das Werk immer mehr hinter dem Künstler zurück. Wenn bedacht wird, dass nur der Produzent (der Künstler) zur Einschätzung des Werks kompetent ist, ist es Paradox, dass das Publikum, das der Beurteilung nicht gewachsen ist, weil es die Werke dem guten Geschmack unterwirft, den Wert desselben bestimmt. Dem Künstler wird die Kompetenz abgesprochen, selbst zu urteilen. Durch Kunstkritiker und Bildungsinstitutionen erfolgt die soziale Regulierung des Geschmacks. Das Genie wird durch den Enthusiasmus des Publikums zum Genie. Irrt das Publikum ist ein verkanntes Genie geboren. Infolge der Genieästhetik erfolgt eine inflationäre Selbstdefinition als Künstler, die vom Publikum als illegitim bestritten werden kann. Künstler nutzen diesen Tatbestand, um eine geniale Leistung durch Ablehnung des Publikums zu verifizieren. Diese Ablehnung erfolgt in der Regel durch einen Skandal.

In der Genieästhetik wird der Künstler als individueller, nicht austauschbarer Schöpfer verstanden, dessen Psyche außeralltägliche Eigenschaften besitzt, aus denen Erfindungen nicht nur in der Kunst sondern auch in der Wissenschaft hervorgehen können. Die auf Inventionen beruhenden Berufe stehen nicht jedem offen.

Was haltet ihr davon? Und was provoziert heute noch in der Kunst? Was bedeutet das für den Künstler?

 

Blumen aus Luise Henriettes Garten entstehen im Vordergrund der Zeichnung von Susanne Haun
Blumen aus Luise Henriettes Garten entstehen im Vordergrund  (c) Zeichnung von Susanne Haun

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Reckwitz, Andreas. Die Erfindung der Kreativität, Berlin 2012, S.60 – 74.

4 comments

  1. Du hast eine sehr informative Zusammenfassung geschrieben. Auf einen Punkt will ich gern eingehen: das Publikum ist in den seltensten Fällen autonomer Kritiker von Werken der Kunst. Vielmehr wird das, was als genial gilt, von einigen wenigen Machern des Kunstbetriebs bestimmt. Der Skandal ist manchmal Resultat des Versuchs eines Induviduums, sich gegen allgemeinen Geschmack und gegen Vereinnahmung zur Wehr zu setzen, viel öfter aber ist er eine Inszenierung, um ein Werk bzw einen Künstler bekannt zu machen und gegen ein misstrauisches, widerstrebendes Publikum durchzusetzen.

    1. Ja, liebe Gerda und das Skandalöse ist beendet, wenn das Publikum keinen Skandal mehr zieht, der Verstoß gegen den Geschmack ist zum “standard” geworden.
      Mit dem Einzug der Werbung in der Kunst (Warhol war der erster, der sich dieser Strategien bediente) wurde der Skandal Bestandteil der Kunst.
      Das Seminar, das ich besuche, ist sehr interessant!

  2. Liebe Susanne, interessante Fragen, die Du uns stellst. Ich bin mir nicht sicher, ob Kunst unbedingt provozieren muss, um wertvoll zu sein. Ich glaube, langfristig entscheidet das Publikum, was es mag und was nicht und wie viel es bereit ist zu zahlen. Das soll aber nicht automatisch heißen, dass Künstler dem Willen des Publikums hinterherlaufen sollte. Im Gegenteil, nur wer sich treu bleibt, wirkt authentisch. Ich fürchte allerdings, bei der Definition, wer ein Genie ist, hilft meine laienhafte Überlegung nicht weiter. Das überlasse ich denen, die sich damit besser auskennen 😉 Liebe Grüße, Peggy

    1. Liebe Peggy,
      ich denke auch nicht, dass für gute Kunst ein Skandal nötig ist. Ich habe gelernt, dass es einen Unterschied zwischen Ausstellungsbild und “Verkaufsbild” gibt.
      Da spielen viele Künstler Topos eine Rolle und natürlich auch unsere Eventkultur. Das Werk verschwindet heute des öfteren hinter den Künstler.
      Ich finde es auch wichtig, sich selber treu zu bleiben.
      Tja, um die Definition von “Genie” zu ergründen, muss ich weiter fleissig die Uni besuchen 😉
      Liebe Grüße nach London sendet dir Susanne

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