Caravaggios irdischer Amor – Bildbeschreibung von Susanne Haun

In der Gemäldegalerie in Berlin hängt das Bild „Der irdische Armor“ von Caravaggio.

Den Anstoß, mir dieses Gemälde genauer anzuschauen bekam ich in einem Seminar der FU. Es begeistert mich, wie ich mich durch die Literatur hangele und immer mehr über das Bild, Caravaggio und das Barock erfahre.

Wer von euch würde sich selbst zur heutigen Zeit trauen, ein Kind so darzustellen?

In der Gemäldegalerie vor dem Amor (c) Foto von Susanne Haun
In der Gemäldegalerie vor dem Amor (c) Foto von Susanne Haun

Heute fange ich mit einer einfachen Bildbeschreibung an. Erinnert ihr euch, ich sprach vom Kunsthistoriker Panofsky (siehe meinen Artikel hier), ich befinde mich mit der heutigen Beschreibung des Amors in der von ihm beschriebenen Stufe 1, der Vor-Ikonographische Beschreibung. Sie beruht auf praktische Erfahrung.

Ich beschreibe das Bild „Amor als Sieger“, es ist 156 x 113 cm groß und wurde 1602 von Caravaggio gemalt.

Auf dem Bild ist ein lebensgroßer Junge um die 12 Jahre alt zu sehen. Er besitzt Adlerflügel, die Spitze des rechten Flügels zeigt auf das Geschlecht des Jungen. Die rechten Adlerfedern sind in dunklem braun, die linken in hellem braun sowie grau bis weiß, so wie Adlerflügel auch in der Natur sind, gefärbt.

Der Junge winkelt das rechte Bein an und präsentiert so lachenden, frechen Gesichtes sein Geschlecht. Die Beine stehen in der Haltung eines umgekehrten Vs. Die Last des Köpers ruht auf dem linken Bein. Vom rechten Bein ist nur der Oberschenkel zu sehen. Er sitzt auf einer von Stoff umhüllten Brüstung. Der Betrachter kann den Ansatz der Gesäßbacken sehen.

Der Kopf neigt sich nach rechts und der Junge schaut und lacht den Betrachter direkt an und stellt so eine Beziehung zum Betrachter her. Sein Haar ist braun ein Kontrast zu seiner vorwiegend sehr hell dargestellten Haut, die nur an Bauch und Knien und wenig an den Schultern der rechten Seite dunkler bis rosig dargestellt ist.

In der linken Hand hält er zwei Pfeile. Der eine Pfeil hat einen roten Schaft, der andere einen schwarzen. Nach Ovid ist der rote Pfeil ein Symbol für Liebesglück und der schwarze für Liebesleid. Die Hand, die Pfeile hält, ist angehoben, so dass der trainierte Arm des Jungen unterstrichen wird. Die Hand ist dabei wie zu einer Faust geformt, eine Geste des Kampfes und Widerstandes. Die Faust ist eine provokante, herausfordernde Geste, die zum Kampf auffordert. Die rechte Hand ist verborgen und macht den Betrachter neugierig auf das, was die Hand hinter dem Rücken hält oder tut. Es besteht die Möglichkeit, dass die rechte Hand den linken Fuß festhält.

Wettbewerb zwischen Caravaggio und Baglione (c) Foto von Susanne Haun
Wettbewerb zwischen Caravaggio und Baglione (c) Foto von Susanne Haun

Links zu seinem Fuß liegen Geige und Laute. Die Geige ist über die Laute gelegt. Die beiden Instrumente sind ineinander geschlungen. Unter der Geige liegt ein aufgeschlagenes, vierzeiliges Notenheft. Die linke Seite des Heftes ist unter die rechte geschoben. In der ersten Zeile des Notenhefts ist ein großes V geschrieben. Instrumente und Notenheft symbolisieren die Musik. Vor dem Notenheft liegt ein Winkelmaß gekreuzt darüber ein Zirkel. Das Winkelmaß ist nach oben offen und sieht wie ein V aus. Winkelmaß und Zirkel symbolisieren die Architektur.

Die Wiederholung des V kann für Victory, dem Sieg, stehen.

Links zu seinem Fuß liegen Teile einer Rüstung: Brust-, Rückenpanzer und Schenkelschutz. Die Rüstung symbolisiert den Kampf. Hinter der Rüstung liegt ein aufgeschlagenes Buch mit Federkiel darüber. Die Schrift ist nicht zu lesen. Beides symbolisiert die Dichtkunst. Über Buch und Federkiel liegt ein Lorbeerzweig, Symbol für den Sieg.

Der Junge hat einen astronomischen Globus, der zum Teil von einem weißen Tuch bedeckt ist, unter sich. Der Globus ist blau und auf ihm sind goldene Sterne gemalt. Eine Tuchfalte unter das Geschlecht des Jungen ist wie die weibliche Scham gemalt. Der Junge hat mit dem Sternenglobus die Welt, die er gering schätzt. Der Globus an dieser Position unterstreicht den Siegeszug des dargestellten Jungen.

Rechts über dem Oberschenkel liegen eine goldene Krone und ein Stab oder Zepter, die Symbole der Macht und der Königs- oder Kaiserwürde.

Der Hintergrund ist undefiniert, es werden keine Gegenstände dargestellt. Es gibt keine Horizontlinie. Links vom Jungen ist der Hintergrund dunkelbraun, rechts an den dunkelgrauen Adlerflügeln hinter Krone und Zepter ist er etwas heller. Dem Betrachter wird das Gefühl von einem sehr großen Raum vermittelt.

Die Hauptfarben des Bildes sind Brauntöne. Rot ist nur im Mund und an dem einen Pfeil vorhanden. Reines Blau mit Gelb sieht der Betrachter nur auf dem Globus. Grün ist einzig der Lorbeerzweig.

Das Bild ist eine Provokation und Aufforderung zum Geschlechtsakt. Der Junge stellt, wie der Titel schon vermittelt, Amor dar. Amor fordert den Betrachter zum Geschlechtsakt heraus. Er ist anzüglich und als schlechter Amor dargestellt.

Er triumphiert über Kultur und Macht was durch die symbolischen Requisiten am Boden liegend, ausgedrückt wird. Der dargestellte Amor besiegt alle, auch der Betrachter ist besiegt.

Das Modell ist ein Kind seiner Zeit und folgt der Natur und wird realistisch und nicht idealisiert dargestellt. Auf dem Bild wird nichts beschönigt. Der Amor ist eine Herausforderung an die Moral. Auch seine Adlerflügel sind der Natur entsprechend gemalt und nicht wie die goldenen Flügel des Eros. Die Art der Darstellung von Kind und Flügeln lasse es dämonisch wirken.

Andere Bilder, die zur selben Zeit entstanden und auf denen auch das Amor Motiv abgebildet ist, zeigen Amor idealisiert von artifizieller Grazie mit dem Verstand gemalt.

Das Bild strahlt eine Homoerotik aus, die durch die überlieferten Charakterzüge des Malers Caravaggio bestätigt scheint. Caravaggio galt als narzisstisch, aggressiv, liebesbedürftig und hatte einen Beherrschungsanspruch.

„Der Sieg des Malers über die Körper erhebt seine Kunst über die Natur und macht sich Körper und Seelen untertan. Die Malerei nimmt den Platz des alles besiegenden Amor ein.“1 Herwarth Röttgen

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Röttgen, Herwarth. Caravaggio: der irdische Amor oder der Sieg der fleischlichen Liebe. Frankfurt am Main. 1992
Brauchitisch, Boris von. Caravaggio Leben Werk Wirkung. Frankfurt am Main 2007.
Reclam, Phillip jun. Hrsg. Kunst-Epochen Barock. Stuttgart 2008 [2003]².
Rosen, Valeska von. Caravaggio und die Grenzen des Darstellbaren : Ambiguität, Ironie und Performativität in der Malerei um 1600. Berlin 2011.

6 comments

  1. Liebe Susanne,
    ich bekomme sofort Lust dort hinzugehen. Genau das Richtige für einen Sonntag Nachmittag, herzlichen Dank für’s Mitnehmen.
    Ganz viele liebe Grüße von uns 4 aus Norfolk,
    Dina

    1. Liebe Dina, das freut mich … die Gemäldegalerie in Berlin ist auch wirklich toll, ich bin öfter im Kulturforum und schaue mal hier und mal dort. Ich kann von zuhause mit der S-Bahn durchfahren und so ist es eine ewige Versuchung dort die Nachmittage zu verbringen…
      Liebe Grüße von Susanne

  2. Da ist aber ein grosses Schild über dem Eingang, wahrscheinlich findet man ihn sonst nicht? Wirklich eine erstaunliche Darstellung des Knabens. – Ich war beim David Hockney gestern. Der muss viel Spass beim Malen gehabt haben. Ich finde ja auch das elektronische Malen spannend. LG, schnell ist der Tag heute vorbei. Roswitha

    1. Ja, Roswitha, ich habe mich auch über das Eingangsschild amüsiert – aber es ist so schön rot aus dem Foto 🙂
      Ich bin ganz traurig, dass ich nicht schaffe, mir die Hockney Ausstellung anzuschauen, ich denke auch, dass Hockney ein fröhlicher Künstler ist.
      Die elektronische Malerei finde ich auch interessant. Ich habe mich ein wenig auf meinem Smartphone daran versucht, aber die Graphikprogramme, die Hockney benutzt, gibt es nicht für Android und ich bin Samsung Fan und mag keinen Apple.
      Ja, ein Tag ist wirklich nichts, schwupp die wupp ist er um.
      Ich habe heute die Ausstellung in der Irischen Botschaft gehangen…. bin ich froh, dass alle Bilder an der Wand sind…..
      Einen schönen ABend dir im fernen Köln sendet dir Susanne

  3. Was dem Besucher der Staatlichen Museen zu Berlin auf diesem 1601/02 entstandenen Gemälde entgegen lacht, ist nicht nur der titelgebende Amor, sondern vor allem eine gehörige Portion Hohn. Der italienische Barock-Maler Caravaggio inszenierte den seit der Antike bekannten Liebesgott als provozierenden Halbstarken, der eines genau weiß: Aus dem immerwährenden Kampf zwischen Kopf und Herz kann nur einer – nämlich er, Amor als Sieger hervorgehen: Omnia vincit amor!

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