Susanne Haun Zitat am Sonntag – Folge 129 – Max Frisch

“Es liegt nur an den anderen, sie sind nicht hier wo ich bin und andere sind da, denen ich jetzt näher stehe.”
Max Frisch Aus dem Berliner Journal²

Bernauer Straße - die durchlässige Mauer (c) Foto von Susanne Haun
Bernauer Straße – die durchlässige Mauer (c) Foto von Susanne Haun

Dieses Buch ist für mich ein Stück Geschichte.  Es wird beim hören in mir die Stimmung des alten West-Berlins aufgebaut, das ich aus meiner Jugend kenne, 1973 war ich 8 Jahre alt. Wie es damals war, in West-Berlin zu leben, das kann ich nicht einmal mehr meinen Sohn begreiflich machen. “Das geht doch gar nicht. Eine Stadt, ein ganzes Land einzuzäunen.”. Und doch – es ging und wir lebten in West-Berlin in einer Oase gemessen an dem heutigen Berlin in der Provinz. Und es war nicht einfach, Freundschaften außerhalb Berlins aufzubauen. Eine Fahrt nach Westdeutschland war immer mit großem Aufwand und langem Warten an den Grenzen verbunden. Die Einreise in die DDR nach Ost-Berlin erzeugte aufgrund der politischen Situation großes Unbehagen.

Gestern machten wir einen Spaziergang am Mauermuseum – es ist für uns immer noch unbegreiflich das dort, wo wir in unserer Kindheit und Jugend selbstverständlich an der Grenze wandelten und zur Schule gingen nun ein Museum steht, das die Bewohner der gesamten Welt anzieht. Oft habe ich bei meiner Freundin, Bernauer Ecke Hussitenstraße geschlafen. Wir sind den Schulweg von dort abgelaufen. Die Veränderungen sind dort für mich am gewaltigsten.

 

 

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² Frisch, Max. Aus dem Berliner Journal, Berlin 2014, Hörbuch 1:20.

11 comments

  1. Danke für diese Erinnerung. Ich lebte in Berlin von 1963-67, also kenne ich die Phase vorher nicht mehr, erlebte nur die Enklaven-Stadt, die Studentenbewegung auch aktiv. Meine Mutter hingegen war 1938 in Berlin, um als frisch Verheiratete Möbel zu kaufen, und dann wieder 2003, als ich eine Ausstellung in Berlin-Charlottenburg hatte. Sie kannte Berlin daher nur als Hauptstadt eines wie auch immer gearteten Staates.
    Wenn ich in Berlin bin, schnuppere ich, ob ich noch den Geruchsunterschied feststellen kann: im Osten roch es nach Braunkohle und überhaupt ganz anders als im Westen. Das blieb auch nach dem Mauerfall noch eine Weile so.

    1. Liebe Gerda, sehr selten ist der Geruch der DDR noch wahrnehmbar. Berlin ist schon eine zusammengewachsene Stadt, in meiner Generation sind aber noch Unterschiede zu spüren, ich glaube selbst in der Generation der Kinder meiner Generation gibt es noch Unterschiede. Ich habe aber groß die Hoffnung, dass die nächste Generartion eine zusammen geachsene Generation ist.
      Wenn du das nächste Mal in Berlin bist, dann können wir einen Kaffee gemeinsam trinken und uns real kennenlernen. Das wäre schön!
      Liebe Grüße von Susanne

  2. Auch ich kann mich an die Grenzkontrollen bei der Einreise in die DDR Richtung Westberlin noch gut erinnern.
    Kaum vorstellbar das diese Welt offene Stadt ehemals durch eine Mauer getrennt war sagt mein Sohn der im jahr des Mauerfalls geboren wurde.
    LG Bine

    1. Es ist selbst für mich nicht mehr vorstellbar, Sabine und ich wüsste nicht, ob ich nochmal in einer eingezäunten Stadt leben könnte. Damals war es einfach der Normalzustand und ich kannte es nicht anders.
      Liebe Grüße von Susanne

  3. Ein paar Stellen hatte ich in Max Frischs “Berliner Journal” angestrichen:

    Max Frisch notiert den Abschied von seiner Schwester in sechs Zeilen – die enden:
    “Plötzlich erinnerte ich mich kettenweise an Verdrängtes, aber an an keinen Grund, warum man es verdrängt hat.” (S. 36)

    Bemerkenswert finde ich die Wahrnehmung:
    “Leute, in deren Gegenwart einem doch etwas einfällt, zumindest die Lust kommt, Sätze zu bilden, Sätze, die nicht vorrätig sind, die einen selber noch überraschen – (…) Das Vergnügen, einen Satz oder mehrere Sätze mündlich zu entfalten, auszupacken als Überraschung für mich selbst; nachher bin ich den andern dankbar dafür.” (S. 42)

    So geht es mir manchmal hier beim Bloggen …

    Kürzlich hatte ich Gelegenheit, die Gedenkstätte Berliner Mauer an der Bernauer Straße zu besuchen. Dabei wurde deutlich, dass ich schon einiges vergessen hatte. Gute Frage, wie diese Geschichte der nachwachsenden Generation zu vermitteln ist.

    1. Guten Morgen, Arnold,
      danke für die beiden Zitate, mir gefällt besonders das zweite und auch mir geht es so, dass ich beim Bloggen oft gerne Sätze bilde und die mit meinen Zeichnungen verknüpfe.
      Einen schönen Wochenbeginn sendet dir Susanne

    2. Guten Morgen, Arnold,
      danke für die beiden Zitate, mir gefällt besonders das zweite und auch mir geht es so, dass ich beim Bloggen oft gerne Sätze bilde und die mit meinen Zeichnungen verknüpfe.
      Einen schönen Wochenbeginn sendet dir Susanne

  4. berlin 1971 – 1977. eine zeit, die ich um nichts in der welt missen möchte. von dort mitgebracht habe ich eine engländerin als ehefrau,(wilmersdorf 1977), ein echtes berliner kindl = tochter (martin luther krankenhaus 1977), und eine konkrete vorstellung über meine zukunft: einen schallplattenladen, den ich 1978 eröffnete.
    mein letzter beitrag im blog befaßt sich übrigens auch mit berlin. danke für den max frisch tip.

    1. Ja, Wolfgang, das gute alte Berlin. Auch ich mag meine Erfahrungen in dieser Zeit nicht missen. Heute bin ich eine Seltenheit: eine Urberlinerin, meine Großeltern und Eltern stammen aus Berlin und auch ich habe diese Stadt nur für Urlaube verlassen und lebe immer noch in meinem Weddinger Kiez.
      Liebe Grüße von Susanne

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