Der Augenzeuge in der Geschichte – Zeichnung von Susanne Haun

Geschichte ist nicht so einfach, wie wir uns das vorstellen!

Meine Vorstellung von Reinhart Kosselleck (c) Zeichnung von Susanne Haun
Meine Vorstellung von Reinhart Kosselleck (c) Zeichnung von Susanne Haun

So denken wir doch, ein Augenzeuge ist jemand, der genau weis, was passiert ist.

So ist es jedoch nicht, denn der Augenzeuge sieht nur seinen kleinen subjektiven Teil des großen Ganzen!
Ein gutes Bild der Geschehnisse erhalten wir jedoch mit mehr zeitlichem Abstand und dem Überblick über die Gesamtsituation.

Ein weiterer Filter zur Betrachtung der Geschichte ist die Frage, die der Leser sich an die Quellen stellt. Die Frage bestimmt die Sichtweise auf die Quelle.

Im laufenden Semester lesen wir Texte von Reinhart Koselleck, einem der bekanntesten deutschen Historiker des 20. Jahrhunderts. Ich finde sein Model von den Schichten der Zeit sehr interessant. Die Zeit innerhalb der einzelnen Schichten läuft verschieden schnell. Wir haben dazu auch einen Artikel von Koselleck in der Sütdeutschen Zeitung gelesen.

Meine Sichtweise hat sich geändert. Ich beginne, Sekundärliteratur kritischer zu betrachten und habe begonnen, auch immer auf die Biografie des Autors der Texte, die ich lese, zu schauen. Erst jetzt verstehe ich die Anmerkung eines Dozenten im 1. Semester zu einem Referat von mir, der mich darauf aufmerksam machte, das Sekundärliteratur die Dinge nicht immer korrekt beleuchtet.

Ich frage mich dann, was als Quelle übrig bleibt und wie wir eine Quelle definieren.
Diese Frage beschäftigt mich nun schon etwas länger.

12 comments

  1. liebe Susanne, zunächst ist dir hier (wieder) ein wunderbares Porträt gelungen, auch wenn ich Kosseleck nicht kenne, so schaut er mich doch an, einmal spitzbübisch lachend, einmal mit Tiefe, es sind die Augen, die dir wunderbar gelungen sind, denn meistens schaut ja nicht eine Auge, wie das andere, nicht wahr?!

    das andere ist die Frage worauf können wir uns verlassen, wenn wir Geschichte hören? Als ich damals in B mein Abi nachgemacht habe, hatten wir in Kunst, Geschichte, Politik und Deutsch einen fachübergreifenden Unterricht, soll heissen, die Epochen wurden aus allen 4 Sichtweisen heraus dargestellt, da bekommt man eine Idee, wie es gewesen sein könnte …

    dazu fällt mir auch ein, dass ich immer wieder noch Neues aus der Zeit des dritten Reiches erfahre, sei es durch Literatur oder Film oder von Menschen, die in dieser Zeit gelebt haben oder aus sogenannten Geschichtsbüchern … solche komplexen Zeiten, in denen Menschen aus den unterschiedlichsten Ländern verwickelt sind oder waren, lassen sich eben nicht 1:1 darstellen, schauen wir uns einmal selbst an: wenn du deins vom heutigen Abend morgen Früh erzählst, jemanden, der diese Zeit mit dir geteilt hat, dann wird der/die andere seine bzw. ihre Geschichte erzählen und nur an manchen Punkten, wenn es gut läuft, werdet ihre identische Geschichten erzählen. …

    hier zeigt es sich wieder, dass es Objektivität nicht gibt …

    uff, das ist aber lang geworden, hoffe dich nicht ermüdet zu haben
    herzliche Grüsse Ulli

    1. Liebe Ulli, ja, die Augen sind ein Hauptelement. Ich habe deinen Kommentar gerne gelesen, auch wenn er lang ist.
      Wir waren bei unserem Abi noch nicht so weit. Wir hatten alles schön getrennt und auch teilweise schlecht. Sätze von Lehreren, die mich tief beeindrucktend ob positiv oder negativ, haben sich im nachhinein als fragwürdige politische Aussage herausgestellt.
      So ist es Ulli, es gibt keine Objektivität. Deshalb finden heute soviele Kongresse statt, auf denen Erkenntnisse zu einem besprochen und danach in Büchern zusammengefasst werden.
      Die Faszination für Geschichte ist auf jeden Fall in mir. Ob nun als Kunstgeschichte oder ohne die Kunst. Es ist eine unstillbare Neugier.
      Ich weiss nicht, ob es identische Geschichten gibt, dann würde der Mensch stagnieren.
      Liebe Grüße sendet dir Susanne

  2. Liebe Susanne, als Historiker kann ich Dir nur sagen: Je tiefer Du in die Problematik der Quellen einsteigst, desto schwieriger wird das. Augenzeugen werden meist maßlos überschätzt, sogenannte Zeitzeugen noch viel mehr. Stell dir vor, Du wirst später mal über das Berlin der 90er Jahre befragt. du warst Doch Zeitzeugin. Aber wie viel Prozent vom Berlin der 90er Jahre hast du wirklich mitbekommen – fast nichts. – Bei weiter zurück liegenden Epochen wird die Sache immer schwieriger. Es gibt Dinge, die als feststehende Fakten in jedem Geschichtsbuch stehen, die sich in Wirklichkeit auf einen Text stützen, den jemand 200 Jahre später von jemand anderem, über den man nichts weiß, abgeschrieben hat …. am besten ist ein Stein, auf etwas eingemeißelt ist. Aber der Text auf dem Stein kann auch pure Propaganda sein. Oder eine Fälschung – die Geschichte des Mittelalters ist voller gefälschter Urkunden und Texte … und trotzdem gibt es ein Stück weit (!) Objektivität. Man kann mit modernen Methoden und Sachverstand dieses oder jenes Bild mit fast völliger Sicherheit diesem oder jenem Maler zuordnen und kann die Lebensdaten ermitteln und dann bei anderen wieder irgendwelche Details über den Menschen finden. Das ist ein Puzzlespiel – bei dem immer eine Menge Puzzlestücke fehlen. Aber ob das Puzzle nun einen Baum oder einen Bären darstellt, dass kann man dann doch objektiv erkennen. …

    1. Lieber Martin, es ist ein wirklich spannendes Metier, das des Historikers, fast wie ein Krimi, der einen wie eine Sucht packen kann.
      Ich beschäftige mich gerade mit einer Handschrift aus Wolfenbüttel (14.Jhd.), in der Zeichnungen entdeckt wurden. Es macht mir extrem viel Spaß, zu forschen, wie diese Zeichnungen wohl in die Handschrift hineingekommen sind und wofür sie als Vorlage dienten.
      Beim Studium der Sekundärliteratur, die ab 1850 mit der Entdeckung der Zeichnungen beginnt, sind mir die vielen verschiedenen Vermutungen aufgefallen, die zu den Zeichnungen gemacht wurden. Sie sind je nach Zeit, aus der sie stammen, so unterschiedlich, dass keine davon objektiv sein kann. Und trotzdem finde ich die Summe an Vermutungen wieder geschichtlich interessant.
      Beschäftigst du dich heute noch mit Quellen?
      Grüße von Susanne

      1. Liebe Susanne, Handschrift Wolfenbüttel aus dem 14. Jahrhundert. Toll. Ich hatte mich ja ein wenig auf Handschriften spezialisiert im Studium und viel Zeit in den entsprechenden Abteilungen verbracht. Ich fand die alten Schinken immer wieder spannend; aber bei mir ging es natürlich nicht um die Bilder, sondern um die Texte, die meist verdammt schwer zu lesen sind.
        Welche Handschrift ist es denn?
        Heute steige ich auch noch manchmal hinunter zu den Quelle. Demnächst erscheint ein Aufsatz von mir zu einem familiengeschichtlichen Thema. Das ist natürlich nichts Großes, aber auch das beruht auf alten Briefen, Aufzeichnungen, Bilder kommen auch vor …
        LG Martin

        1. Lieber Martin, es ist der Cod. Guelf. 61.2 Aug. 8°, die 2. Lage, das so genannten Wolfenbütteler Musterbuch. Es ist von mehreren Händen. Ich denke, ich schreibe einen Blogbeitrag darüber. Das ist eine gute Idee. Morgen machen wir eine Exkursion in das geheime Preußische Archiv. Ich freue mich schon. Famlienchroniken erzählen ein Stück Zeitgeschichte und auch spannend. Auch sie müssen gut recherchiert sein. Wirst du darüber berichten? Einen schönen Tag von Susanne

          1. Ups, liebe Susanne, da hast du Dir ja was Schwieriges vorgenommen. Habe mir die Handschrift mal im Internet angesehen, der byzantinische Einfluss der Zeichnungen ist deutlich, aber danach beginnen ja erst die Probleme … wünsche Dir viel Erfolg beim Erforschen! Martin

            1. Auch der sächsischen Zackenstil in den Gewändern ist zu sehen, Martin. Es ist eine spannende Arbeit, wie ein Krimi und wirft sehr viele Fragen auf!
              Einen schönen Advent dir und Roswitha wünscht Susanne

  3. Alles hinterfragen ist immer gut, vor allem die politischen Statements und Meldungen sind vielfach getürkt so nach dem Motto Weiss gegen Schwarz etc. etc. Deine Zeichnung finde ich sehr gelungen. Liebe Grüsse nach Berlin. Ernst

    1. Lieber Ernst,
      ja, es ist immer besser, sich in vielen Richtungen zu informieren und sich selber eine Meinung zu bilden. Das ist nicht immer einfach, denn versteckte Propaganda ist schwer zu erkennen.
      Danke für dein Lob und viele Grüße aus Berlin sendet dir Susanne

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